MAULCO.

Der Alm-Öhi lacht zurück

Erschienen in Kommunikation & Seminar 2/2012.

Mein schlimmstes Erlebnis als Speaker möge ich doch bitte schildern, für eine Rubrik in der Zeitschrift Kommunikation & Seminar, bat mich die Chefredakteurin Regine Rachow. Vor meiner Zusage brauchte ich einen Tag Bedenkzeit: Nicht etwa, weil mir kein Erlebnis einfiel, sondern weil ich nur ein einziges auswählen durfte. Ich entschied mich für die größte Problem-Perle der letzten Jahre:

Ein lieber Kollege fragte mich, ob ich denn Lust habe, vor einem erlesenen Publikum zu sprechen. „Was ist denn erlesen?“ fragte ich, und mit viel Tamtam malte er mir, welch tolle Zuhörer auf mich warten, allesamt hochvernetzte und total spannende Business-Leute! Mindestens 50!! Viele potentielle Kunden!!! Und sie würden sich ganz bestimmt für meinen Vortrag interessieren! Spätestens bei der deutlichen Betonung auf ganz bestimmt hätte ich hellhörig werden müssen. Stattdessen wurde ich hellhörig, als er sagte: Der Vortrag muss auf Englisch sein.

Kleiner Rückblick: Die ersten 20 Jahre meines Lebens begleitete mich auf Schritt und Tritt ein fieser Geselle, der mich mal mehr, mal weniger stottern ließ. Meist – leider – mehr. Referate in der Schule und später an der Universität unterschieden sich nur durch das Stockwerk der Hölle, in der ich mich wähnte; umso größer die Erleichterung, als ich dann damit „durch“ war und endlich flüssig und mit großem Spaß zu sprechen gelernt hatte. Ein kleiner Haken jedoch blieb: In Fremdsprachen schlich sich der Stottottotterer zwischendurch wieder ein, vor allem in meinem hochgeliebten Englisch. Und das piesackte mich, denn ich wusste ja: Es geht auch anders, eigentlich.

Also, ja, natürlich! Ich sagte dem Kollegen zu, immer schön mit dem Kopf gegen die dickstmögliche Wand, denn welche Gelegenheit könnte besser sein, den letzten Stotterer loszuwerden, als diese? Das zwischen den Zeilen durchklingende „ganz bestimmt“? Das war in meinem mentalen Siphon gelandet.

Nun, Wochen später stehe ich vor einem beeindruckenden Haus und fahre im gläsernen Fahrstuhl viele Stockwerke nach oben. Die Stadt glitzert, alle meine Sinne sind angeschaltet in freudiger Erwartung auf die Zuhörer, und ich strotze vor Willen, diesen Vortrag zum ersten zu machen, der auch auf Englisch ebenso fließend & spaßig rüberkommt wie alle anderen, die ich seit dem Stotterstopp auf Deutsch gehalten hatte. Piece of cake.

Oben angekommen wünsche ich, der Fahrstuhl stürze sofort nach unten. Die mindestens 50 hochvernetzten potentiellen Businessleute zeigen sich als Grüppchen frisch aus dem Büro gestolperter Menschen, vermutlich schon das dritte Bier schlürfend. Der zugesagte Seminarraum ist mutiert zur schummrigen Hotelbar; die Leinwand für den nicht vorhandenen Projektor hat sich aufgelöst, genau wie die Tinte in den Flipchartstiften.

Ich beginne, aber: Rapport scheint unmöglich. Wieso hören sie nicht zu, wieso reagiert keiner, wieso springt der Funke nicht über? Ich höre mich selbst reden. Roboter-Modus. Natürlich hatte es knifflige Gruppen gegeben, zerfressen von Kritik und Konflikt, aber das war immer: Piece of cake. Ein uninteressiertes Publikum, das ist mir neu. Wieso sollten die überhaupt kommen, wenn sie gar nicht hören wollen? ― Dann fällt der Groschen. Ich bin Lückenfüller. Für eine Weihnachtsparty.

Meine Sprache? Oh, die ist flüssig wie ein Bergbach in den Highlands, alles paletti, thankyouverymuch.

Der Glasaufzug rettete mich. Unten angekommen verließ ich das Haus, lief ein paar Schritte außer Hörweite und lachte so laut wie schon lange nicht mehr, etwa wie Heidi, die dem Alm-Öhi in die Arme rennt. Das allerletzte Stotterchen war weg, ein für allemal, und ich dankte dem Publikum (in Abwesenheit), dass es meinen bislang schlechtesten Vortrag über sich hat ergehen lassen.