MAULCO.
© Mathias Maul

Wie man Kommunikations-Silos löst, ohne (komplett) durchzudrehen

Erschienen in intelligent information 2018-03-09.

Fossilisierte Silo-Strukturen, um Macht und Budgets konkurrierende Abteilungen und heilige Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Kühe sind allseits bekannte Symptome innerbetrieblicher Kommunikationsblockaden. Die Ursachen liegen oft im allzu Menschlichen: Jeder möchte zum gemeinsamen Erfolg beitragen … wenn da nur „die anderen“ nicht wären!

Ich mach’s kurz: Silos sind schwierig. Viele haben sich schon die Zähne daran ausgebissen und endeten— sorry für die schiefe Metapher — als zahnlose Tiger. In diesem Artikel schreibe ich über Yetis, Gemütlichkeit und einen ganz und gar un-kitschigen Weg vom Wahn zum Sinn. Ich hoffe, er hilft weiter. Fragen beantworte ich gern persönlich auf der tekom-Frühjahrskonferenz (19./20.04.2018 in Koblenz) in oder nach meinem Vortrag.

Yetis

Die Kunden? Nee, für uns sind das Yetis. Irgendwo in den Bergen. Im Nebel. Mit denen darf nur der Vertrieb sprechen.„ Aber … aber … Wie er denn herausfände, ob die Marketing-Maßnahmen greifen? Ob diese - mythischen - Kunden die ganzen Broschüren, Websites, Info-Videos und werweißwasalles überhaupt lesen, verstehen, brauchen? “Ach, da stochern wir alle im Nebel. Das ist doch immer so, der Vertrieb hat seine Infos, und wir haben unsere. Und damit müssen wir alle klarkommen."

Wir blinzeln uns an und wissen beide: Irgendwas stimmt hier nicht.

1. Hygge

Haben Sie in letzter Zeit die wunderbare Glitzerwelt der Selbstoptimierungsliteratur verfolgt? „Hygge“ war einer der jüngsten Trends, der sich aus den Selbsthilfebuch-Regalen bis in die Boulevardpresse durchschleimte. Im Grunde bedeutet es nichts anderes wie die Parole beim Loriotschen Weihnachtsabend: „Und dann machen wir es uns gemütlich!“ (Und im Hintergrund tobt das Chaos.)

Kommunikations-Silos sind im Grunde nichts anderes. Man bleibt unter sich, man macht es sich gemütlich. Egal, wie groß oder klein ein Unternehmen ist; Silos gibt es immer. In der technischen Redaktion, im Marketing, im Vertrieb, in der Kantinenküche: Menschen fällt es von Natur aus schwer, allzu große Gruppen zu überblicken; in der Familie lebt’s sich übersichtlicher, und zwei, drei Nachbarn sind doch genug. Manchmal (Küche) ist das okay, meist (überall anders) katastrophal. Und einige argumentieren, dass vor allem die Kantine ihre Silotore öffnen sollte.

Silos sind verrufen als parallele Organisationseinheiten, die die ganze Arbeit aufhalten, dabei ist die Motivation, aus der heraus sie enstehen, genau das Gegenteil: Man versucht, der Kompliziertheit Herr zu werden, zieht sich in kleinere funktionierende Einheiten zurück, macht es sich hyggelig. Deshalb wirkt es auch nicht, wenn Berater im Dreiteiler aufmarschieren und „Silos einreißen!“ skandieren: Mit einer Abrissbirne kriegt man niemanden unbeschadet aus dem Ohrensessel.

Meist sind die Elefanten so groß, dass man sie gar nicht mehr sieht, sondern schon automatisch um den Rüssel herumläuft wie Freddie Frinton um den Tigerkopf. Deshalb werde Dir bewusst, welche Silos es in Deiner Organisation gibt. Erster, schwierigster, wichtigster Schritt: Bring das Thema auf den Tisch. Dabei ist es egal, ob der Tisch der des Teamleiters, der Bereichsleiterin oder der Oberbosse ist.

2. Preußische Schulden

„Da hätten die uns doch auch mal Bescheid geben können!“ sagt der technische Redakteur, nachdem das Marketing den großen roten Kampagnen-START-Knopf gedrückt hat. Man müsse doch auch mal informiert werden! Das geht so doch nicht! Und der Marketer? „Naja, wenn die nicht fragen, schicken wir denen auch nix. Haben doch schon mehr als genug zu tun den ganzen Tag.“

(Ja, das ist übertrieben. In den allermeisten Fällen geht’s in und zwischen den Abteilungen freundlich zu, kollegial, produktiv. Dieser Artikel ist für die 5 Prozent, in denen es täglich kracht.)

Manchmal scheint es leichter, Verantwortung zwischen Kollegen oder - einfacher, weil abstrakter - Abteilungen hin- und herzuschieben als Information. Weil der da uns das da nicht gesagt hat, können wir hier unsere Arbeit nicht machen! Man übersieht gern, dass das Konzept der Hol- und Bringschuld aus Zeiten des Löschpapiers und Umlaufmappen stammt. Mit den heutigen Informationswerkzeugen gibt es keinen einzigen Grund mehr, mit dem frisch gespitzten Bleistift auf „die anderen“ zu zeigen. Information muss, genau wie Verantwortung, in alle Richtungen fließen.

Erzähle den anderen, woran Du gerade arbeitest. Interessiere Dich dafür, was die anderen machen. Für den ersten Teil ist Workflow-Software ideal, solange alle sie nutzen - der zweite erfordert den Wunsch und Willen, tatsächlich gemeinsam arbeiten zu wollen, um gemeinsame Ziele zu erreichen.

3. Täglich einen Schritt weiter vom Wahn zum Sinn

„Unser Unternehmen verbessert weltweite Wertschöpfungsketten durch synergetische Kooperationsworkflows.“ Solche Sätze finden sich gern in mission statements, von denen wir alle wissen, dass sie außer schiefem Grinsen nichts bewirken. Um ein ganzes Unternehmen in einem Absatz zusammenzufassen, muss man generalisieren.

Solange diese Statements im Abbinder von Pressemeldungen stehen oder hübsch gerahmt am Empfang hängen, ist alles in Ordnung. Schwierig wird es, wenn man dem Irrglauben erliegt, man könne sie 1:1 operationalisieren. Wie, bitteschön, soll denn Redakteur Meier oder Marketingexpertin Müller ihre tägliche Arbeit von „synergetischen Kooperationsworkflows“ oder ähnlichem Geschwurbel leiten lassen? Generalisierte Missionen und Visionen machen vielleicht ein schönes flauschiges Gefühl im Bauch, aber im Feld helfen sie nicht weiter.

Mission-Statements sind ein idealer Ansatzpunkt, um Silos aufzulösen. Genau wie anderer „Content“ sind sie manifeste Kommunikation, die das Unternehmen intern strukturiert. Schau Dir Euer Mission-Statement an und frage Dich: Wie können wir es so operationalisieren, dass es zu einer für alle Mitarbeiter gleichermaßen sinnvolle Grundlage für die tägliche Arbeit wird? Dabei sind viele kleine, konsequente, langsame Schritte besser als schnelle, große. Ein neues Statement einzuführen, um das alte zu „erklären“ ist wie ein fünftes Bier zu trinken, damit es nachschauen kann, ob’s den ersten vier gut geht.

Kitsch

Kürzlich schrieb ich für technische kommunikation einen Artikel namens Liebt Eure Silos. Der Satz, der am meisten Resonanz brachte? „Das Wir ist wichtiger als das Ich.“ Klingt meeeega-kitschig, nicht wahr? Vor allem für „uns Techniker,“ richtig? Aber mal ganz direkt von Auge zu Auge: Solange wir noch keine Bots haben, die Material schreiben und Bots, die es lesen, sollten wir mit dem arbeiten, das uns dahin gebracht hat, wo wir heute sind: Intelligenz, kognitiv und emotional.

Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn.