
Substanz bringt Sichtbarkeit
Erschienen in Praxis Kommunikation 2/2025.
Der Coaching-Markt schreit nach Aufmerksamkeit: Zwischen lauten Social-Media-Auftritten und aggressiven Marketing-Strategien verschwinden echte Expertise und authentische Präsenz. Diejenigen, die sich auf ihre Tiefe konzentrieren statt auf oberflächliche Selbstdarstellung, werden langfristig nachhaltiger wahrgenommen und weiterempfohlen.
In Teil 1 der Artikelreihe schrieb ich von strahlenden Social-Media-Timelines, voll von Motivationszitaten und perfekt scheinenden Erfolgsgeschichten. Der Wunsch – und manchmal der Druck –, mit diesen Vorbildern „mithalten“ zu können, sie vielleicht auf- oder sogar zu überholen, ist zutiefst verständlich, denn es klingt doch logisch: Mehr Sichtbarkeit bringt mehr Aufträge, mehr Aufträge liefern mehr Material für Content, mehr Content erzeugt wieder mehr Sichtbarkeit. Aber dieser anscheinend so einfache Prozess hat einen Haken: Er ist nicht nachhaltig und führt nicht selten dazu, dass frisch gegründete Coaches nach wenigen Monaten das Handtuch werfen, ausgelaugt vom ständigen Schreien nach Aufmerksamkeit.
Dass die Maxime „Poste viel und schnell und interessant!“ hauptsächlich von den Unternehmen hinter den Social Networks propagiert wird, fällt den wenigsten auf. Sie zielen auf menschliche Grundbedürfnisse wie Verbindung, Selbstwirksamkeit, Gesehenwerden, und so weiter. Wer mag, schaue sich die Liste der Bedürfnisse aus der GfK an und hake diejenigen ab, die aus Sicht eines Social Networks dazu dienen können, Menschen länger auf der Plattform zu halten … und damit das Hauptumsatzziel zu erfüllen, nämlich mehr Klicks auf Anzeigen zu generieren.
Wie schon in Teil 1 angedeutet heißen soziale Netzwerke aber gerade deshalb soziale Netzwerke, weil sie grundlegend sozial sind. (Reicht es, das Wort dreimal im Satz zu verwenden, um es deutlich zu machen?) Für Euch als diejenigen, die das Netzwerk nutzen, geht es also um die Kommunikation mit Menschen – nicht mit der Plattform.
Zwei Drittel der Maxime „Poste viel und schnell und interessant!“ bedient die Bedürfnisse der Plattform. Konzentriert euch nur auf das letzte Drittel: interessant. Oder wollt ihr selbst immer viel und schnell von allen anderen lesen? Na eben.
Content-Marketing ist nur ein kleiner Bruchteil eines großen Feldes namens Content-Strategie, in dem es vor allem darum geht, Kommunikation nützlich zu machen, zum Beispiel in Bedienungsanleitungen, Geschäftsberichten, Katalogen oder auch Marketing und Sales. „Nützlich“ ist Kommunikation im Kontext des Coaching-Geschäfts zum Beispiel dann, wenn sie Vertrauen erzeugt und bestärkt, oder wenn sie eure Einzigartigkeit darstellt. Und es ist nur selten nützlich, standardisierten Marketing-Formeln zu folgen und die eigene Stimme und Marktposition zu verwässern.
Ein grundlegendes Problem dieser Formeln liegt in der oberflächlichen Definition von Erfolg, oft optimieren sie auf Quantität („Wie viele Likes brauche ich mindestens?“) der Kommunikation und weniger auf die individuelle Wirkung. Das wiederum kann die Prioritäten im Tagesgeschäft verschieben, und so landet unverhältnismäßig viel Zeit in der Selbstdarstellung zum Gefallen der vermeintlich alles entscheidenden Social-Media-Algorithmen.
Also fragt euch kurz selbst: Was ist wirklich, wirklich nützlich für eure Kundschaft? Der x-te Post zur y-ten Coaching-Methode, den man vielleicht inzwischen schon vom GPT-Bot geliefert bekommt? Oder ein Einblick in das, was euch als Person ausmacht und mit dem ihr Vertrauen schafft? Zum Selbst-Check ist es auch hilfreich, bei der Außenkommunikation immer die Diskrepanz im Blick zu halten, die entstünde, wenn ihr als echte Person mit Menschen arbeitet, die nur eure Online-Persona kennen.
Die Substanz, die ihr nach außen tragt, verändert sich natürlich mit der Zeit mit eurer Entwicklung und dem Feedback eurer Kunden. Viele von uns arbeiten alleine und sind ihre eigene Marke. Oder genauer: Sie werden zu ihrer eigenen Marke, denn Marken (ob klein oder groß) entstehen erst durch Kommunikation mit dem Markt. Sich in der Außenkommunikation auf die eigene Substanz zu konzentrieren erfüllt damit gleich mehrere Ziele:
- Die Frage nach der Content-Strategie erübrigt sich fast: Schreibt das, was euch selbst (als Person!) bedeutsam ist und gleicht vorher ab, ob es eure aktuellen oder neuen Kunden interessieren könnte.
- Rückmeldungen auf eure Kommunikation erlauben euch, euch aus Sicht der anderen zu reflektieren. (Aber Vorsicht: Bedenkt neben dem erhaltenen Feedback auch den sehr großen Anteil derjenigen, die auf eure Kommunikation reagierten, die Reaktion aber nicht öffentlich machten!)
- Das offene Kommunizieren dessen, was euch bedeutsam ist, hat einen Einfluss auf die Haltung(en), die ihr bei und für die Arbeit entwickelt und wird damit Teil der persönlichen Entwicklung.
Und natürlich: Es bringt Kundschaft, und zwar diejenige, die zu euch passt. Das ist vielleicht weniger spektakulär als ein omnipräsent-globalgalaktisches Social-Media-Imperium, doch so lange ihr keine Marketingprodukte verkaufen, sondern das Beste für euch und diejenigen wollt, die eure Unterstützung suchen, ist das sicher leicht verschmerzbar.
Checkliste: Die Substanz kommunizieren
- Reflektiere, was dich als Person und in deiner Rolle einzigartig macht. Was liegt dir wirklich (wirklich) am Herzen?
- Nimm eine Stichprobe aus deiner Kundschaft: Frage, was sie an deiner Arbeit besonders schätzen. Vergleiche dies mit deiner Selbsteinschätzung. (Es ist hilfreich, die zu Befragenden auszuwürfeln, um unbewusstem Bias vorzubeugen.)
- Überprüfe, was du nach außen kommunizierst: Entspricht es dem, wie du tatsächlich arbeitest?
- Definiere dein persönliches „interessant“: Was möchtest du wirklich mit deiner Zielgruppe teilen? Was hat echten Mehrwert für sie? Daraus kann eine Liste mit Themen werden, die dich bewegen – nicht die, die „man“ posten „sollte.“
- Mache zwischendurch Realitäts-Checks für deine Außenkommunikation: Würdest du das, was du schreibst/postest, auch im Vorgespräch oder einer Session genau so sagen?
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Zum Weiterlesen:
- Teil 1: Mach mal halblang
- Teil 3: Meine Stärke: Verletzlichkeit (erscheint 06/2025)
- Buch: Durchstarten als Coach - Praxisstrategien für ein erfolgreiches Business (erscheint 07/2025)