MAULCO.
Laska Comix

Prinz Sternhagel: Das Märchen vom Content-Marketing

Erschienen in Kommunikation & Seminar, 1 bis 6/2013.

Marketing? „Alles leeres Geschwätz!“ glaubt der König und schickt stur seine Werbe-Vuvuzelisten durch die Länder, um das Sternschnuppen-Geschäft auf Berg Guckstu zu beleben. Doch der Touristenstrom versiegt, und so begibt sich Prinz Sternhagel auf eine abenteuerliche Reise und lernt dabei mehr über (Content) Marketing - und über und sich selbst -, als ihm zunächst lieb ist.

Ein Märchen über Content-Strategie, Content-Marketing und Storytelling … und über die Hindernisse, die vor allem denjenigen im Wege stehen, die eigentlich genau wissen, was sie eigentlich machen sollten. Geeignet für Agenturen, Autoren und alle, die mit Wörtern so jonglieren wollen, damit sie wirken.

Tröten und Trompeten
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Kapitel 1: Tröten und Trompeten

Es stand nicht gut ums Königreich. Seit Monaten blieben die Touristen aus, und selbst Königs von nebenan, die letzten Sommer noch zum Grillen vorbeigekommen waren, ließen nichts mehr von sich hören. Mit jedem Haar, das dem Schatzmeister vor Sorge ausfiel, wurde auch Prinz Sternhagel verzweifelter. Schließlich war er als Tourismusminister für die einzige Geldquelle des Landes verantwortlich: Die Sternschnuppen kamen pünktlich jeden Dienstagabend, und von Berg Guckstu, gleich neben seinem Schloss, hatte man den besten Blick und die höchste Sternschnuppenwunscherfüllungsquote: Ganze 87,42 Prozent! Das waren zwei Zehntelprozent mehr als bei der Konkurrenz! Das halbe Königreich war stolz.

Doch in den letzten Monaten war Guckstu fast leer geblieben; Touristenströme wurden zum Rinnsal. Dabei versuchte das Königshaus doch wirklich alles, um Touristen anzulocken! An den Straßen hingen riesige Plakate, die für Berg Guckstu warben. Hundertschaften von Herolden zogen durch die Nachbarländer und tröteten in ihre Vuvuzelas - lauter als alle anderen. Die Pausen aller Theater-Aufführungen waren gebucht mit Werbeeinblendungen der Hofnarren. Doch nichts von alledem half.

„So geht das nicht weiter,“ sagte der Schatzmeister, wie er es jeden Abend beim Abendbrot sagte. „Wir müssen etwas tun, Majestät. Sonst sind wir pleite.“

Der Prinz schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Er holte Luft, grinste, und sagte: „Schatzi, wir blasen das alles ab. Wer weiß, was meinen alten Herren geritten hat, als er die Vuvuzela-Herolde losschickte. Lass sie zurückrufen! Alle Plakate abreißen. Werbepausen canceln. Sofort!“

Der Schatzmeister schaute in seine Suppe, dann zum Prinzen, dann zurück zur Suppe. „Sehr wohl, äh, Majestät,“ sagte er und flüsterte dann zu sich: „Noch schlimmer kann’s eh nicht mehr kommen.“ Sternhagel grinste noch breiter und schlug ihm auf die Schulter. „Hey! Schatzi! Gräm dich nicht. Morgen brechen wir auf. Drachen töten.“

Am nächsten Morgen Punkt 5 weckte Prinz Sternhagel seinen Schatzmeister. „Schatzi! Los! Rauf aufs Pferd, es geht los!“ - „Majestät, würden Sie mir erklären, was der werte Plan …“ - „Klaro. Hör zu. Gestern früh hab’ ich in der alten Eiche hinter der Garage ein Buch gefunden. Keine Ahnung, woher das kam. War plötzlich da! Da steht drin, dass drüben in Webonia so ein magisches Dingens vergraben liegt, das aus Wissen Gold macht. Mit Schatzkarte! Die ist garantiert echt! Das Dingens schnappen wir uns. Wissen haben wir doch genug, oder? Hah! Auf geht’s! Zum Gold!“

„Sehr wohl, äh, Majestät.“ Sie sattelten auf und ritten los. Am Abend schlugen sie ihr erstes Nachtlager auf, und im Flackern des Lagerfeuers las der Prinz aus dem Buch vor:

Werter Leser! Ich schreibe diese Worte in der Hoffnung, dass sie auf fruchtbaren Boden fallen mögen. Die Menschheit hat unermessliches Wissen gesammelt. Dies Wissen ist wertvoll; wertvoller noch als Gold, denn aus einer Einheit Wissen kannst du Tausend Einheiten Gold machen. Doch nimm dich in Acht: Nicht jeder Lehrende ist ein Lehrer; nicht jeder Lernende ein Schüler. Dein Weg zum Lehrer beginnt mit der Einen Frage: „Was hast du, werter Leser, in den vergangenen sieben Monden gelernt? Wann warst du selbst Schüler, welches Gelernte trug dich weiter auf deinem Pfad?“

„Ähm… hä?“ waren die letzten Gedanken in des Schatzmeisters Kopf, bevor er in einen tiefen, traumhaften Schlaf fiel.

Exegese: WISSEN IST GOLD

Die Online-Werbewelt ist leiser geworden in den letzten Jahren. Sicher, noch immer gibt es die unverbesserlichen Schreier, die auf allen Kanälen ihr KLICK! JETZT! HIER! posaunen, mit ihren blinkenden Bannern, den unvermittelt aufspringenden ABONNIER!-DEN!-NEWSLETTER!-Formularen und anderem Nervkram, der früher mal ganz gut funktionierte, bis …

… ja, bis die User begannen, das Internet zu verstehen und nicht nur zu konsumieren.

Ja, es ist schneller als alles bisher da gewesene. Ja, man kann fast alles mit fast einem Klick sehen und kaufen. Aber die uralte Währung, die das Leben genau so ausmacht wie das Geschäft, ist nach wie vor: Vertrauen. Und das wächst heute trotz, oder gerade wegen, des rauschenden Internet nicht schneller, sondern langsamer als je zuvor.

Ist ja auch klar: Wessen Ohren überall maschinell vollgedröhnt werden, der sehnt sich nach dem Vertrauten, dem Menschlichen, auch und vor allem wenn es ums Kaufen und Verkaufen geht, weitere uralte Begleiter des Menschen.

Die Vuvuzelisten des Königs haben ausgepustet; Sternhagel bricht aus der verrosteten Werbewelt aus. Fast fünfzehn Jahre nach Cluetrain spricht sich herum, dass man den Weg nicht nur denken, sondern gehen muss.

Online-Händler, Konzerne, Blogger, E-Mail-Marketer, Menschen, hören zu statt weg und schreiben statt zu schreien. Und die User lernen echte Authentizität von gespielter zu unterscheiden, und - werden selbst zu Autoren, deren Herzen die Verkäufer mehr als je zuvor gewinnen und halten müssen, wenn sie nicht weggepustet werden wollen.

Augenblicke
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Kapitel 2: Augenblicke

Der Nebelwald von Webonia schluckte das Klappern der Hufe. „Ma-jes-tät?“ flüsterte der Schatzmeister, „Majestät? Als Sie gestern sagten, wir gehen Drachen töten … das war doch sicherlich … ein Scherz?“

„Na logn, Schatzi! Der Schreiberling hier kann seine Drachen-Stories ja nicht Ernst meinen, Drachen gibt’s doch nur im Märchen, ha! Ha! Hier, hör zu.“ Er las vor:

Werter Leser! Bevor Du Wissen zu Gold machen kannst, musst du drei Drachen töten. Ohne jegliche Vorwarnung werden Sie dich aufsuchen und dich…GNORF

„Majestät? Sagten Sie gerade Gno…“ sagte der Schatzmeister noch, und verstummte vor Schreck: Vor ihnen war ein Drache erschienen; er schwang seine beiden Köpfe auf Armlänge vor ihre Gesichter und starrte sie an. Sternhagel und sein Schatzmeister starrten zurück.

Sofort griff Sternhagel - als Tourismusminister zwangsweise erfahrener Kämpfer - zum Schwert. „Schatzi! Angriff!“ schrie er, doch der Schatzmeister hörte ihn nicht: Er war inzwischen ohnmächtig zu Boden gefallen. „Na prima, auch das noch,“ dachte Sternhagel, gefangen im Blick des Drachens, und mit jeder Sekunde, die verging, erschien er ihm größer und größer. Plötzlich brüllte der Drache und blinzelte mit seinen Augen. Und was Sternhagel dann sah, fuhr ihm durch Mark und Bein.

Die Augen des Drachens schienen mit Sternhagels Augen zu verschmelzen. Er sah sich selbst, wie er durch den Nebelwald zurück nach Hause trottete: alleine, niedergeschlagen und gebückt, der Glanz der Zuversicht aus seinen Augen verschwunden, stattdessen voll von Angst. Wie würde der König reagieren, wie das Volk? Ganz klar, die Touristen werden abwandern, die Einnahmen sinken, das Land zerfallen! Der Schreiberling hatte ihn an der Nase herumgeführt; so einfach konnte es doch nicht sein, das hätte er doch wissen müssen! Wissen zu Gold? Pah!

Dem Drachen entwich, kaum hörbar, ein schadenfrohes Grunzen.

„Was soll das hier werden?“ sagte Sternhagel, zunächst mit zittriger Stimme, dann immer kräftiger und lauter. Wer zuerst lacht hat verloren, oder wie oder was? Hör mal, Hase. Ich bin hier der Prinz. Ich bestimme, woran ich denke, und wovor ich Angst habe. Mit deinem Schmierentheater kannst du die Anfänger beeindrucken, aber. Mich. Nicht." Sternhagel schloss die Augen, zog sein Schwert und schlug mit zwei Hieben die Drachenköpfe ab.

○ ○ ○

„Brrr!“ Der Schatzmeister schüttelte das Wasser ab, mit dem der Prinz ihn aus der Ohnmacht geweckt hatte, und rappelte sich auf. „Majestät? Mag uns das Buch wohl verraten, welche Drachen noch auf uns warten?“ Still blätterte Sternhagel. „Also … das muss der Drache der Angst gewesen sein. Schreiberling sagt, uns erwarten noch,“ er zog eine Augenbraue hoch, „Trägheit und Chaos. Na wundervoll. Aber es hilft nix, Schatzi, da müssen wir durch. Wir haben jetzt doch keine Angst mehr, oder? Ha! Weiter geht’s!“

Sie sattelten auf und ritten los. Und bemerkten nicht, wie laut das Hufgetrappel durch den Wald hallte.

Exegese: ANGST

„Auf dem Schlachtfeld des Selbst stehen ein Ritter und ein Drache. Du bist der Ritter. Dein Widerstand ist der Drache.“ - Steven Pressfield in *The War of Art,*seinem Meisterwerk über die Angst, vor allem die kreative, und wie man sie, Achtung, besiegt.

„Ach wie ach was, Herr Maul, Sie als gelernter Psycho-Fachmann sollten doch wissen, dass man Angst lösen muss und niemals besiegen kann?“ höre ich nach wie vor von Kunden.

Ja, ein Teil der Therapie- und Coaching-Szene tut sein bestes, um persönliche Veränderungen möglichst angenehm, schmerzfrei und locker wirken zu lassen. Aber dann, wenn’s wirklich drauf ankommt, wenn die Angst vorm leeren Blatt Papier oder dem „völlig unzureichenden Text, den doch eh niemand liest OH MEIN GOTT DAS WIRD DOCH NIE WAS MIT MIR“ an die eigene Identität geht, dann muss die Lösung an der Wurzel ansetzen. Der Drache (also, oho!, ein Teil von Dir) steht vor Dir, und Du musst ihn töten, jetzt, sofort, koste es was es wolle, oder er wird Dich den Rest des Lebens verfolgen.

Wie bitte? Das macht er schon? Dann dreh Dich um, schau ihn an. Tief in beide Augen. Zück Dein Schwert und schlag zu.

Mit jedem Drachen, den Du erlegst, wird ein Teil Deiner Authentizität freigelegt; mit den verbleibenden unsterblichen Drachen arrangiere Dich und halte sie auf Armlänge.

Und dann schreibe Dich, egal ob im persönlichen Blog, dem Newsletter des Kaninchenzucht-Vereins oder der B2B-Akquise-Copy für einen Holzschrauben-Konzern.

Widerstand zwecklos
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Kapitel 3: Widerstand zwecklos

Der Nebelwald machte einer weiten Landschaft Platz, die sich vor Sternhagel und seinem Schatzmeister ausbreitete: Grüne Wiesen, sanfte Hügel und die Sonnenstrahlen ließen die beiden fast vergessen, was hinter ihnen lag.

„Schatzi? Wenn wir den nächsten Drachen treffen, müssen wir vorbereitet sein, klar? Du weißt, wie wichtig es ist, dass wir dieses magische Dingens finden, mit dem wir aus Wissen Gold machen. Also, hör zu: Erstens, wir fallen nicht in Ohnmacht. Klar?“ - „Sehr wohl, Majestät.“ - „Zweitens, wir werden sofort angreifen, ohne eine Sekunde zu zögern. Und drittens, wir haben keine, ich wiederhole, keine Angst. Auch klar?“ - „Sehr, äh, wohl, Majestät.“

So ritten sie von Sonnenaufgang bis die Sonne hoch am Himmel stand. Zur Mittagszeit suchte Sternhagel nach einem Rastplatz. „Schatzi? Sag mal, wir haben den Nebelwald doch heute früh verlassen, right? Wieso zum Henker liegt er dann immer noch eine Pferdelänge hinter uns?“ - „Majestät, wir … wir … haben uns offenbar nicht vom Fleck bewegt.“ ― „Ja, Schlaumeierchen, das seh’ ich auch. Aber wieso?“ Sternhagel schaute sich um und rief in alle Himmelsrichtungen: „He! Hallo! Wer spielt hier Spielchen mit uns? Zeig Dich! Wir haben nämlich gar keine Angst! Ha!“

Leise und ohne viel Aufhebens materialisierte sich ein Drache. „Das kann ich Euch verraten,“ murmelte er, als er sich auf die beiden herabließ wie ein Wackelpudding. Nach wenigen Sekunden hatte er Sternhagel und den Schatzmeister komplett umschlossen.

„Potz Stern! Wir sind gefangen - nicht von, sondern im Drachen!“ rief Sternhagel, als er nach seinem Schwert griff. Wild schlug er um sich, doch jeder Schnitt, den er in der glibberigen Masse ansetzte, schloss sich sofort. „Nur zu,“ murmelte der Drache, „nur zu.“ Sternhagel schlug immer schneller, holte immer weiter aus, mal mit einer Hand, mal mit beiden. Nach zehn Minuten ließ er das Schwert vor Erschöpfung fallen und boxte mit bloßen Händen weiter. „Ich … krieg …,“ schnaufte er, „dich schon,“ fiel aber bald zu Boden. „Schatzi, ich … ich hab’ keine Kraft mehr. Wir sind verloren.“

Der Schatzmeister hatte die Szene ruhig beobachtet, nun schaute er den Prinzen an, der vor Erschöpfung eingeschlafen war. Seine Stirn legte sich, langsam, in Falten. Er grübelte. Dann ruderte er, langsam, mit seinen Armen. Der Drachenglibber, der ihn umgab, wackelte, langsam. Er ruderte weiter, etwas schneller, beobachtete weiter, und wurde wieder schneller, bis er mit seinen Bewegungen den ganzen Drachen zum Wackeln brachte.

„Was soll das, Mensch?!“ brüllte der Drache, doch der Schatzmeister ließ sich nicht abhalten. Jede Armbewegung schaukelte den Drachen schneller und heftiger auf, wie ein Schiff im Orkan. Schließlich wackelte er so heftig, dass er mit einem laut schmatzenden glubsch zusammensackte. Nichts blieb von ihm zurück außer einer kleinen, wackeligen Pfütze.

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„Majestät?“ Der Schatzmeister kitzelte die Nase des Prinzen mit einem Gänseblümchen. „Sie dürfen nun aufwachen. Der Drache ist besiegt. Laut Buch war es der … Moment … ah ja. Der Drache der Trägheit.“

„Wie? Was? Schatzi? Ha! Ha! Großartig!“ Sternhagel streifte die Glibberreste von seinem Gewand. „Das haben wir gut gemacht, Schatzi, oder? Ist doch so, nicht? Ha! Hah! Jetzt aber weiter im Takt! Los!“ - „Sehr wohl, äh, Majestät,“ antwortete der Schatzmeister, und in Windeseile ließen sie die Hügel hinter sich.

Exegese: HOCHSCHAUKELN

Die großen, bekannten Autoren, Blogger, Kommentatoren, Persönlichkeiten - diejenigen, die hohe fünfstellige Beträge im Monat „nur mit Schreiben“ verdienen - haben eine Gemeinsamkeit. Sie haben, man mag’s kaum glauben, alle klein angefangen und dann einfach weitergemacht. Jeder, der „über Nacht“ wirklich erfolgreich geworden ist, hat hunderte, oft Tausende Nächte zuvor hart gearbeitet, geschrieben, gelöscht, geübt … und durchgehalten.

„Aber jetzt schreibe ich doch schon seit drei Wochen! Und keiner liest meine Texte!“ - So unglaublich dieser Satz klingt, so häufig habe ich ihn gehört. Im Internet scheint alles soooo schnell und einfach zu sein, aber wie bereits erwähnt wächst die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg - Vertrauen - mit derselben Geschwindigkeit oder sogar noch langsamer als noch vor 20 oder 50 Jahren.

Sternhagel, vom Drachen geschluckt, verausgabt sich bis zum Äußersten und gibt dann kraftlos auf. Der Schatzmeister beobachtet: Welches Wackeln wirkt wie? Er hält durch, diszipliniert, bis er siegt.

Wie lange muss man durchhalten? Wann ist es Zeit, aufzugeben? Pauschal ist das nicht zu beantworten, doch es gibt Faustregeln, zum Beispiel diese:

Wenn’s Ihnen am Herzen liegt - das Thema, das Produkt, das Unternehmen, Sie selbst -, dann bleiben Sie dran. Ansonsten? Weg damit. Gold kommt zum Glücklichen allein.

Abgeschmettert
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Kapitel 4: Abgeschmettert

„Nimmt diese Reise denn gar kein Ende?“ stöhnte der Schatzmeister. Sternhagel schaute auf die Karte. „Wir sind bald da. Das heißt, wenn wir …“ - „… was, Majestät?“ - „Wenn wir den nächsten Drachen besiegen. Chaos, du erinnerst dich?“ Der Schatzmeister schwieg. Chaos war nicht seine Stärke.

Die Wiesen der webonischen Hochebenen wirkten unendlich groß. Die königlichen Pferde trabten über unzählige Blumen, erst schnell, dann, nach und nach, immer langsamer. „Hey! Weiter!“ rief Sternhagel, doch es half nichts. Schließlich standen die Pferde wie angewurzelt, benommen vom Duft der Blumen; die Reiter stiegen ab.

In dem Moment, als ihre Füße den Boden berührten, schien die Wiese in den Himmel zu explodieren. „Schatzi! Das sind keine Blumen; das sind - Schmetterlinge!“ Millionen bunter Tiere flatterten als riesige Wolke in den Himmel. Sie wogte und bebte, wie von einem Sturm getrieben, und wechselte die Form, war einmal ein Stern, dann eine Kugel, dann sah sie aus wie ein Klumpen Gold.

„Majestät! Ich finde keine … weil …“ - „Ich … mir … auch … nicht!“ Sie stolperten umher, abgelenkt und irritiert vom riesigen Schmetterlingsschwarm. Dann, mit einem leisen Gurgeln, nahm die Wolke die Form eines Drachen an. „Cha…“ - „…os!“ schrien beide, und verstummten.

Der Drache hing flatternd vor ihnen in der Luft. Sternhagel und der Schatzmeister schauten einander kurz an und versuchten die Flucht: Gemeinsam rannten sie los, um ihm zu entkommen.

Der Drache aber folgte ihnen und narrte sie mit wildem Geflatter. Mit jedem Schritt wurden sie verwirrter, gebannt von tausenden Farben und lautem Gedrrrumsel. Sie schlugen Haken, rannten mal links, mal rechts, mal mitten hindurch, versuchten einzelne Schmetterlinge zu fangen und mit Schwerthieben zu verjagen: ohne Erfolg.

Erschöpft blieben sie stehen. „Chaos wenn der, Drache besiegen aber, wir aus denken aus. Uns.“ - „Sehr, Majestät. Wohl!“ Sie schauten sich an und nickten sich zu. Dann machte Sternhagel einen Schritt nach links, der Schatzmeister einen nach rechts. Der Schmetterlingsschwarmdrache flatterte in der Mitte zwischen beiden. Sie gingen weiter, der eine nach links, der andere nach rechts. Mit jedem Schritt dehnte der Drache sich aus, wurde breiter und flacher. Nach einiger Zeit waren sie so weit voneinander entfernt, dass sie sich kaum noch sahen. „Siehst Du, was ich sehe?“ schrie Sternhagel. „Ja, Majestät! Es ist unglaublich!“

Aus dem Drachen war eine lange Reihe aus Schmetterlingen geworden, aneinandergereiht wie auf einer Perlenschnur, und farblich sortiert in den Farben des Regenbogens. „Potz Stern! Der Drache hat sich ja hübsch gemacht!“ schrie Sternhagel und machte einen weiteren Schritt. In diesem Moment reihte sich der letzte Schmetterling in die Schnur ein und schwebte gleichzeitig mit allen anderen zu Boden. Der Drache war verschwunden und hatte eine lange Reihe bunter Blumen auf der Wiese hinterlassen.

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„So, den hätten wir, was? Ha! Schatzi! Im Buch steht, das magische Dingens liegt in der Höhle des Wissens, gleich neben der dritten Eiche von links. Das klingt ja wie im Märchen, oder? Hah! Ha!“ Sternhagel klopfte dem Schatzmeister auf die Schulter. „Da! Ich seh den Wald schon am Horizont. Auf geht’s!“

Die Drachenbesieger ritten schnurstracks nach vorn.

Exegese: STRUKTUR

„Herr Maul, ich kann nicht schreiben!“ ist einer der Sätze, den ich in der Beratung am häufigsten höre, und oft stellt sich nach weiterem Nachfragen heraus, dass Menschen nur deshalb glauben, nicht schreiben zu können, weil sie der Überzeugung sind, man müsse „dafür geboren sein.“

Das ist etwa so, als würde man zu einem Schreiner sagen: „Der Schrank ist toll geworden! Aber, hey, mal ehrlich, das können Sie ja schon seit Ihrer Geburt, nicht wahr?“

Wer sich vor ein Blatt Papier oder einen Monitor hockt und auf die Muse wartet, die die Finger tanzen lässt, wartet vergeblich. Selbst (nein: vor allem!) die zahlreichen „begnadeten“ Autoren berichten von ihren dramatischen inneren und äußeren Kämpfen, in denen sie sich jedes einzelne Wort abringen.

Ein Blog-Beitrag, Texte für eine Website oder ein Tweet aus dem Handgelenk, das ist kein magnum opus. Die meisten Texte, die fürs Geschäft wichtig sind, folgen einer klaren Struktur, und wenn Sie sich ohne Struktur an den Rechner hocken, „um etwas zu schreiben,“ vergeuden Sie Zeit.

Wie geht’s besser? Ein Beispiel: Fantasieren Sie hinter Ihrem Monitor Ihren perfekten Leser. Wie argumentieren Sie, um ihn zum Kunden zu machen? Daraus ergibt sich die Struktur. Und dann, essentiell: Beim Schreiben schauen Sie ihm immer mal wieder durch den Monitor in die Augen. Ist er noch am Ball? Schaut er gelangweilt? Oder will er schon auf den „Jetzt kaufen!“-Knopf klicken? So hangeln Sie sich durch die Struktur, Satz für Satz. Hochladen, fertig. Und, ach ja, 80% gut ist gut genug. Perfektionismus tötet. Locker bleiben!

Geschichtspunkte
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Kapitel 5: Geschichtspunkte

So einfach soll das sein?“ Sternhagel schüttelte den Kopf. Dann nochmal, und ein drittes Mal. Er lief auf und ab, sein Atem wurde schneller und schwerer. „Das soll alles sein?! Wuaaargh!!“ Mit einem lauten Schrei schmetterte er die Schriftrolle auf den Boden.

„Majestät, nun lassen Sie uns doch alles zunächst genau lesen.“

„Papperlapapp, lesen! Wieso hat dieser schrumpelige Schreiberling uns die fiesen Drachen vorgesetzt, wenn es so einfach ist? Hast du darauf eine kluge Antwort? Na? Na?“ Der Schatzmeister sammelte sich: „Majestät mögen sich entsinnen, dass wir vor Beginn der Reise nicht wussten, ob wir die Drachen würden besiegen können.“ - „Ja, und?“ - „Mag Majestät den Gedanken zulassen, dass Ihres Vaters Pläne nicht optimal waren?“ „Klar, Schatzi, mein alter Herr ist von der alten Schule. Werbung mit Vuvuzelas, immer schön alles rausbrüllen, das klappt heutzutage nicht mehr. Deshalb sind wir ja losgeritten. Aber was Schreiberling hier sagt, ist doch … wuaargh! Aber OK,“ er holte Luft, „lies mir nochmal vor, was in dem Ding steht. Bitte langsam.“

Der Schatzmeister las vor:

Willst du Wissen zu Gold machen, so besiege zunächst die Angst, die Trägheit und das Chaos: Werde frei, dein wertvollstes Wissen zu teilen, ohne Angst, das Teilen könne dir zum Nachteil gereichen. Werde schnell und mache das Mitteilen deines Wissens zur Gewohnheit, ohne dich von der Trägheit bremsen zu lassen. Und immer und überall: Sortiere, damit Du im Chaos Ordnung findest. Tue dies jeden Tag, und wo immer du bist, und lächle dabei. Erzähle Geschichten über alles, was dir lieb ist im Leben. Und siehe, dein Wissen wird zu Gold."

Endlich entspannten sich Sternhagels Gesichtszüge. „Ich hab’s! Mann, warum bin ich nicht gleich drauf gekommen! Der alte Haudegen, der das Buch hier geschrieben hat, ja, der weiß, was gut ist. Wie hätte er uns sonst bis hierher lotsen können, ha? Hah? Das können wir auch!“ Der Schatzmeister nickte und lächelte den Prinzen milde an. „Majestät, wir sollten aufbrechen.“

„Das musst du mir nicht zweimal sagen! Ha! Wir reiten los!“ Einen Tag und eine Nacht ritten sie ohne Pause, und dann wieder einen Tag, und auf der ganzen Strecke unterhielten sie sich: Über die Geschichte des Königreichs und der Sternschnuppenschwärme, über Wünsche und Wunscherfüllungsquoten, und über alles, was ihnen einfiel, das sie in den letzten Jahrzehnten erlebt und gelernt hatten.

Als Sternhagel dann zur zweiten Nacht das Lager aufschlug und sich zum Schlafen legte, glänzten seine Augen. Ja, wenn sie ankommen, würde er Geschichtenerzähler werden. Und des Schatzmeisters Augenlider flatterten im Schlaf: Er träumte von Berg Guckstu, wie er, bis zum Gipfel gefüllt mit Sternschnuppentouristen, das Mondlicht reflektierte.

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Exegese: WIR SIND GESCHICHTEN

Einige Wissenschaftler vermuten, dass die Fähigkeit des Geschichtenerzählens eine wichtige Rolle in der Evolution spielte und dazu beitrug, dass der Mensch zum Menschen wurde.

Viele von uns modernen Menschen sind mit Schlafgeschichten groß geworden; mit Bilderbüchern auf handlichen, dicken Papp-Seiten; mit Comics unter der Bettdecke; mit Büchern, die einen ganzen Sommerferientag schluckten, einfach so, und danach noch einen.

Geschichten halten uns zusammen - uns als Person und als Gesellschaft. Sie helfen uns, Zusammenhänge nicht nur zu verstehen, sondern wirklich zu kapieren; unserem und dem Leben anderer eine Struktur, eine Bedeutung zu geben.

Viele archetypische Strukturen von Geschichten sind uns allen vertraut: Der Junge wird zum Held, erschlägt den Drachen und rettet die Prinzessin. Mann trifft Frau, sie hassen sich, dann lieben sie sich. Das Böse droht die Welt zu zerstören, dann gewinnt das Gute.

Falsch angewendet sind diese Strukturen wie ein hässliches Baugerüst an einem Haus: Paradebeispiel sind Kinofilme, die eine Struktur nur nutzen, damit teure Special Effects und Schauspieler nicht im Nichts hängen.

Wer mit Erzähl-Strukturen richtig umzugehen lernt, und das ist nicht schwer, züchtet ein Wurzelgeflecht, aus dem alles wachsen kann. Aber denken Sie dran, eine Kettensäge einzupacken - und die Bonsaischere. Niemand mag Gestrüpp.

Hageldämmerung
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Kapitel 6: Hageldämmerung

Als die beiden Helden die Grenze ihres Königreichs erreichten, ging gerade die Sonne auf. Sie galoppierten durch das Schlosstor, und Sternhagel rannte zum Schlafzimmer des Königs.

„Papi? Ich weiß, es ist früh. Hör mir zu. Wir haben die Lösung. Wir retten Guckstu. Bitte geh in Rente.“ Der König schaute verschlafen unter seiner Nachtkrone hervor, blinzelte. Dann drehte er sich um, schlurfte in sein Bett und schlief, tief und langsam atmend, wieder ein.

„So, das wäre erledigt. Schatzi? Schaaaatzi? Lass mir die Plakateure kommen, ebenso die Vuvuzelisten und die Werbenarren!“ Sternhagel briefte die versammelte Mannschaft, die er vor Antritt seiner Reise beurlaubt hatte. „Leute. Wir lassen das sein mit dem Rumschreien. Hört mir zu.“

Und so erzählte Sternhagel bis tief in die Nacht. Er erzählte, wie er als kleines Prinzchen zum ersten Mal die Sternschnuppenschwärme sah. Wie er als Junge schlaflos im Bett lag und die Schnuppen zählte, um einzuschlafen. Wie er mit Prinzessin Sonnenflocke vom Königreich nebenan im Sandkasten saß und Sternschnuppensandkuchen buk. Wie er sich in den Ferien sein Taschengeld aufbesserte, als er im Kassenhäuschen auf Guckstu Eintrittskarten verkaufte. Was er gelernt hatte über die Schnuppen und die Wünsche der Schnuppengucker. Und er erzählte die Geschichten, die er von ihnen gehört hatte in all den Jahren.

Seine Zuhörer saßen mit großen Augen und Ohren im Halbkreis vor ihm. Mit jeder Geschichte schienen ihre Herzen sich auszudehnen; Sie spürten, was es wirklich bedeutete, einen Sternschnuppenwunsch zu wünschen. Und Sie spürten, was es bedeutet, ihn erfüllt zu bekommen. Sie verstanden.

Auch als Sternhagel vor Müdigkeit kaum noch reden konnte, leuchteten seine schon fast geschlossenen Augen. „Und all das, liebe Kollegen, liebe Freunde, ist nur ein kleines, kleines Funkeln von dem Gold, das wir alle in uns tragen. Wie ein Magnet wird es die Touristen anziehen. Aber jetzt schlaft Euch aus: Morgen geht ihr los und tragt unsere Geschichten in alle Länder.“

So geschah es. Jeden Tag saßen Sternhagel und sein Schatzmeister zusammen und schrieben ihre Geschichten, und jeden Tag kamen mehr und mehr Besucher, um ihre Geschichten zu erzählen. Schon nach wenigen Wochen wurden die Wege, die zum Gipfel von Berg Guckstu führten, voller und voller. Aus dem Touristen-Rinnsal, das sie bei ihrer Reise zurückgelassen hatten, wurde wieder ein Fluss, und hastdunichtgesehen säumten lange Warteschlangen die Wälder am Fuße von Guckstu. Laute, lebhafte Warteschlangen, denn die Schnuppengucker erzählten sich Geschichten.

Der König genoss seinen Ruhestand und kümmerte sich fortan um seinen Rosengarten. Und Königs von nebenan? Ja, auch sie kamen wieder zu Besuch, und sie brachten Prinzessin Sonnenflocke mit.

Exegese: ERFAHRUNGEN, NICHT PRODUKTE, VERKAUFEN

Geld ist ein Mittler für Erfahrungen: Ich kaufe Schokolade nicht, weil ich sie besitzen will; ich kaufe einen Stuhl nicht, um ihn zu haben. Die Schokolade wird gegessen, genossen, und der Stuhl wird besessen und, wenn er besonders ist, bewundert: Nicht den Stuhl oder die Schokolade habe ich gegen Geld getauscht, sondern die Erfahrungen, die ich in Folge des Tauschs erleben kann.

Was für den Käufer eines Produkts - wenn auch selten bewusst - logisch ist, muss auch für den Verkäufer gelten. Vermieten Sie Lagerräume für Leute, die mehr Zeug besitzen als die Wohnfläche aufnehmen kann? Keiner mietet einen Quadratmeter Lager, aber Ihre Kunden werden hellhörig, wenn Sie Ihnen versprechen, welche Erfahrungen sie machen können: Endlich wieder Gäste einladen, weil Platz im Wohnzimmer ist! (Die Frage, ob es nicht besser sei, den Kram einfach wegzuschmeißen, beantwortet dann die Coaching-Industrie, die wiederum neue Erfahrungen verspricht.)

Und, na klar, Erfahrungen vermittelt man über Geschichten, das ist nichts neues. Denken Sie dabei an die eigenen Geschichte genau wie an die Geschichten Ihrer Kunden und vor allem daran, wie sie sich wechselseitig beeinflussen. Erst wenn der erste Kunde gekauft hat, beginnt die Geschichte Ihres Produkts; davor ist es ein Hirngespinst, ganz egal wie viel Kapital und Hirnschmalz in die Entwicklung geflossen sind.

Nutzen Sie diese Chance. Sammeln und erzählen Sie vom ersten Tag an Geschichten, die Erfahrungen transportieren, die dazu führen, dass Ihr Produkt gekauft wird, was wiederum neue Geschichten erzeugt. Ein Produkt nicht als Erfahrung zu verkaufen, ist ein unnötiger Umweg.

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Vielen Dank an Regine Rachow für das Lektorat; Elke Reinhart, die Sterni mit ihren wundervollen Illustrationen zum Leben erweckte; den tapferen Beta-Lesern sowie meinem Sohn für den an sich großartigen, am Ende jedoch nicht realisierten Vorschlag, unseren Helden König Pupsdose zu nennen.