MAULCO.
© Mathias Maul

Das Hörnchen weiß es besser

Optimale Marktpositionierung mit einer Extraportion Nüsschen.

Erschienen in Praxis Kommunikation 1/2016.

„Ach, die Marketingleute versuchen immer wieder, mich in eine Richtung zu zwängen. Immer soll ich mich festlegen!“ klagte kürzlich ein Mandant. Wie anstrengend es doch sei, es dem Markt recht zu machen!

Viel wurde schon über Positionierung geschrieben: Darüber, „seinen Platz zu finden“ oder „klar am Markt aufzutreten,“ damit dann „die richtigen Kunden kommen.“ Vielleicht haben Sie sogar Kapitel 3 von Vom Coach zum Unternehmer gelesen und sind den einen oder anderen Schritt weiter gekommen.

Den einen oder anderen Schritt, ja, aber nicht den Schritt, sagt dann der Mandant, den die Suche nach der „richtigen“ Positionierung so sehr quält. Man müsse doch mal seinen Platz finden! So geht das doch nicht so weiter mit dem Bauchladen!

Aber … was, wenn doch? Was, wenn der „Bauchladen,“ vor dem viele – ich inklusive – warnen, gar nicht das schlechteste ist?

1. Positionierung ist Optimierung

In der Informatik und vielen anderen Disziplinen gibt es Optimierungsprobleme: Ziel ist, die bestmögliche Lösung zu finden, die unter den gegebenen Umständen gefunden werden kann, und zwar im Wissen, dass die beste (die maximale) oft verborgen bleibt.

Stellen Sie sich vor, ein Helikopter setzt Sie samt Proviant für eine Woche inmitten eines großen, dichten Waldes ab. Ihre Aufgabe: Finde den höchsten Baum. Sie gehen also los, schauen sich um, und nach einer Woche wissen Sie: Ja, genau dieser Baum hier ist der höchste.

Problem gelöst? Natürlich nicht. Der Baum, den Sie gefunden haben, war der höchste, den Sie unter den gegebenen Umständen finden konnten. Mit Proviant für zwei Wochen (oder einer Angel) hätten Sie vielleicht einen noch höheren gefunden. Stattdessen haben Sie ein „lokales Optimum“ gefunden, das mit dem globalen – dem höchsten Baum im Wald – nichts zu tun haben muss.

Nun stellen Sie sich vor, der Wald besteht aus Beratern, und Sie sind der Kunde. Und vielleicht suchen Sie, um die Metapher praxisnäher zu machen, gar nicht den höchsten Baum, sondern den mit dem süßesten Eichhörnchen. Dass es dafür keine „beste“ Lösung geben kann, liegt auf der Hand.

Und wenn Sie selbst eins der Eichhörnchen sind? Dann suchen Sie vielleicht nach dem schönsten Baum, oder dem mit dem besten Ausblick, damit Sie Ihre Kunden finden können.

Die „richtige“ Position im Wald, äh, Markt, kann es nie geben. Es gibt nur Positionen, die aus der Sicht als Anbieter und der Sicht Ihrer Kunden zu einem bestimmten Zeitpunkt passender sind als andere. Deshalb ist ein „Bauchladen,“ den viele Anbieter zu vermeiden suchen, nicht das schlechteste, sondern kann ein sinnvolles Abbild der Marktrealität sein.

2. Positionierung ist Authentizität

Wenn der Oberbürgermeisterkandidat einen Monat vor dem Wahltag aufs Land fährt und mit den Bauern auf der Kuhweide posiert, weiß jeder: Das ist nicht echt. Und die Schlussfolgerung: Der ist nicht echt, nicht authentisch.

Aber es gehört irgendwie dazu, nicht wahr? Wir alle kennen die Spielchen der Selbstinszenierung: in der Politik, der Pressekonferenz oder am Esstisch, wenn der pubertierende Nachwuchs sagt, alles sei supidupi in der Schule, gaaar kein Thema – und dann das Zeugnis rüberschiebt. Oder wenn der Klient anklopft und der Coach in seine „Coach-Rolle“ schlüpft – denn es ist ja ein wichtiger Klient, und man muss sich ihm von seiner besten, „professionellen“ Seite zeigen. Der Klient hingegen bemerkt die Verwandlung genau wie der Zeitungsleser, der über den zum Bauern mutierten OB-Kandidaten den Kopf schüttelt. Und er zieht seine Schlüsse: Ach ja, so ist man als Coach eben. Ach, dann spiele ich jetzt mal Klient.

Umso deutlicher stechen diejenigen hervor, die echt echt sind, bei denen jedermann – fast instinktiv – spürt: Der spielt uns nichts vor! Authentische Menschen sind ihre Positionierung, oder um die Wald-Metapher erneut zu quälen, sie suchen sich als Eichhörnchen den Baum, der am besten zu ihnen passt, lassen sich’s dort gut gehen und winken die vorbeikommenden Kunden herbei.

Letztlich kann es, logisch betrachtet, gar nicht darum gehen, es „dem Markt“ recht zu machen, weil es „den Markt“ per se nicht gibt, jedenfalls nicht als quantifizierbares und voll durchsuchbares Etwas. Es gibt vielmehr eine Anzahl von individuellen Kunden, und davon passen einige zu Ihnen, und andere eben nicht.

Zu einem authentisch auftretenden Anbieter kommen genau die passenden Kunden, wenn er es versteht, sein Angebot authentisch zu kommunizieren. Wenn Sie es dann noch schaffen, authentisch aufzutreten und den Kunden mit genau den Teilen des Bauchladens zuzuwinken, die Ihnen und ihnen am meisten entsprechen, kommt der Rest von selbst.

3. Positionierung ist eine Folge von Experimenten

Und wenn Sie sich die Hand abwinken und die Kunden einfach nicht kommen? Dann ist’s vielleicht der falsche Baum. Ob das Optimum, das Ihnen und Ihrer Authentizität entspricht, tatsächlich die Kunden anlockt, die Sie wollen, entscheidet nur das Experiment.

Bleiben Sie lange genug und voll authentisch auf Ihrem Baum hocken, gern auch mit dem kompletten Bauchladen. Wenn nach einiger Zeit – je nach Ihrem Angebot, Budget und Durchhaltevermögen können das zwei, drei, zehn oder mehr Monate sein – nicht die Wunschkunden kommen, dann hoppeln Sie weiter zum nächsten lokalen Optimum.

Eine Positionierung dient vor allem dazu, Kunden und Ihnen eine schnelle Entscheidung zu erleichtern, ob Sie zueinander passen. Wenn Sie dies mit Experimentierfreude angehen, authentisch bleiben und sich nicht zu ernst nehmen, wird’s ein Leichtes sein, die Kunden zu bekommen, die Sie sich wünschen.