
Mach mal halblang
Erschienen in Praxis Kommunikation 1/2025.
Die Gleichung scheint einfach: Je schneller ein Coaching-Business aufgebaut wird, desto früher stellt sich der Erfolg ein. Doch gerade in der Gründungsphase kann bewusste Entschleunigung ein kluges Konzept sein: Geschäftsmodell, Positionierung und Marketingstrategie aus sich heraus entwickeln zu lassen, bringt ein resilientes Fundament. So wird Gelassenheit zum Erfolgskonzept – mit System und gegen den Zeitgeist.
„Ich brauche sofort eine Website!“ – „Wann ist mein Logo fertig?“ – „Bis Monatsende brauche ich die ersten drei Klient:innen, sonst wird das doch alles nichts!“ Alles Sätze, die ich in Gründungsberatungen hörte, dringlich vorgebracht, mit dem unbedingten Willen zur Geschwindigkeit, denn „das muss ja schnell gehen.“ Es scheint auch einleuchtend: Je schneller das Coaching-Business steht, umso schneller kommt der Erfolg. Leider war ich lange Teil dieser Schneller-höher-weiter-Bubble, nicht zuletzt mit Veröffentlichung meines Buchs „Vom Coach zum Unternehmer“ vor mehr als 12 Jahren. Die Neuauflage im Sommer 2025 soll vor allem eines leisten: Das Muss zur Geschwindigkeit relativieren. In diesem ersten von drei Artikeln in Praxis Kommunikation will ich erklären, warum.
Bei vielen entsteht der Wunsch nach Geschwindigkeit schlicht aus deren finanzieller Situation: der Job wurde gekündigt – gleich ob freiwillig oder nicht –, das Startkapital ist überschaubar und die Familie will weiter ernährt, die Miete gezahlt werden. Ein Mandant drückte es mal so aus: “I must keep the wolves at bay,” die Wölfe stehen schon vor der Tür, also: Ärmel hochkrempeln, schnell schnell! Völlig nachvollziehbar. Doch wie seine daraus resultierende innere Haltung war, wenn er in Kontakt mit Neukund:innen kam, könnt ihr euch vielleicht vorstellen. Auch Gründer:innen mit komfortablen Rücklagen spüren Unruhe: Was, wenn das nächste Projekt zu lange auf sich warten lässt? Und vor allem: Was, wenn die Konkurrenz schneller ist?
Damit verbunden ergibt sich der zweite Treiber, der ebenso subtil wie unterschätzt ist: sozialer Druck. LinkedIn und Co. sind voll von strahlenden Erfolgsgeschichten, von Handshake-Fotos mit prominenten Coachees, von beeindruckenden Umsatzzahlen. Was wir dort sehen, ist aber nur die polierte Oberfläche und nicht die 70-Stunden-Wochen, um den Anschein aufrecht zu erhalten oder die Ohnmacht, wenn man von drei Accounts gleichzeitig hingehalten wird, bis endlich einer unterschreibt. Darüber postet man natürlich selten bis nie, und wenn doch, dann eher als „Schaut her, dies ist mein Fuck-up des Jahres, und so habe ich daraus zehnfachen Gewinn gemacht!“
Sein Inneres mit dem Äußeren der anderen zu vergleichen ist eine erprobte und wirksame Strategie, sich selbst unzufrieden zu machen und sich zu langsam oder gar unfähig zu fühlen.
Ein Weg zur Lösung liegt in der bewussten Gelassenheit. Das heißt nicht, alle Schritte eines Marketingplans einfach in der doppelten Zeit zu machen, sondern noch mehr: Dem Geschäft – ganz gleich, ob neu gegründet oder etabliert – die Chance zu geben, organisch zu wachsen. Um diese Haltung zu entwickeln, gibt es ein paar erprobte Verhaltensweisen, hier zwei davon:
- In der Außenkommunikation klickt nicht mit dem neuesten Tool schnell eine Website zusammen – inklusive 100 Blog-Posts vom nächstbesten Bot –, sondern betrachtet die Website als flexibles Abbild eurer Selbst. Eine Website ist nie „fertig,“ genau wie ihr nie fertig seid. Und wie schade wäre es, wenn Neukund:innen online nur ein Abbild eures alten Selbst fänden!
- Für LinkedIn und dergleichen gibt eine einfache Regel: Postet mehr, als ihr lest, oder benutzt Social Media nur zum direkten Kontaktaufbau. Es heißt ja nicht ohne Grund soziales Medium: Redet mit den Menschen, und haltet dabei auch die Agenda der sozialen Netze selbst im Blick, die nicht notwendigerweise kongruent ist mit eurer (mehr dazu in der nächsten Ausgabe von Praxis Kommunikation).
Dies sind nur zwei von vielen möglichen Verhaltensweisen, die eine gelassenere Haltung befördern können. Und wenn diese Gelassenheit mit sich bringt, einen Nebenjob (oder zwei) auszuüben, um die Miete zu zahlen? Nur zu, das ist weder ehrenrührig noch ungewöhnlich in der Anlaufphase, genau wie es eher normal ist, dass ein Coaching-Business erst nach Jahren erfolgreich wird. Wertvolle Jahre, die Zeit für persönliche Entwicklung lassen. Jahre, in der sich Netzwerke festigen können, in denen eure Erfahrungen in der Arbeit dafür sorgen, dass die Methodik immer mehr hinter eure Einzigartigkeit zurücktreten kann.
Eine angenehme Nebenwirkung ergibt sich automatisch: Wenn wir als Coaches den Klient:innen gegenübertreten, tun wir das als Menschen, nicht als Sammlung von Formaten. Bestünden unsere LinkedIn-Posts aus aufgeplusterten Wunschgeschichten, wie könnten wir je authentisch mit der Kundschaft sein? Die innere Gelassenheit trägt sich in die Arbeit hinein, wir werden authentischer wahrgenommen, die Arbeit wird erfolgreicher, die Klient:innen empfehlen uns weiter, und … das Geschäft wächst.
Checkliste: Business mit Gelassenheit
- Überprüfe deine finanzielle Basis ehrlich, führe ein Budget ein und gleiche ab, wie viel Zeit und Investitionen dir gut tun. Im Zweifel ist ein Nebenjob nichts Ehrenrühriges, sondern kann dir den Freiraum geben, der Wachstum erst ermöglicht.
- Halte deine Außenkommunikation (Website etc.) von vornherein flexibel, anstatt auf Perfektion zu setzen.
- Entwickle eine Social-Media-Strategie, die direkte Interaktion mit Menschen in den Vordergrund stellt. Oder kurz: Mehr posten und direkt ansprechen als konsumieren.
- Definiere, was Erfolg für dich persönlich bedeutet, und löse dich von den scheinbaren Erfolgsgeschichten anderer.
- Finde Gleichgesinnte, die ebenfalls auf nachhaltiges Wachstum setzen. Das hilft, den von Marketinggurus verblendeten Markt realistischer zu sehen.
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Zum Weiterlesen:
- Teil 2: Substanz bringt Sicherheit (erscheint 04/2025)
- Teil 3: Meine Stärke: Verletzlichkeit (erscheint 06/2025)
- Buch: Durchstarten als Coach - Praxisstrategien für ein erfolgreiches Business (erscheint 07/2025)