Erste Hilfe, wenn das Team festfährt
Erschienen in Business Punk 2023-02-08.
Kürzlich arbeitete ich mit einem Team, das sich in eine Sackgasse manövriert hatte: In Meetings stritt man, laut und ergebnislos, oder man schwieg sich an, zäh und zermürbend. Als wir mit dem Debuggen der mentalen und emotionalen Prozesse loslegten, ging es schnell aufwärts.
Aus dieser und vielen anderen Beratungen fasse ich hier fünf nützliche Ideen, Aktionen und Haltungen zusammen—mit den besten Wünschen, dass ihr euch aus dem nächsten Team-Konflikt alleine herausschrauben könnt.
1. Es … menschelt? Wie bitte?
Das Team läuft nicht so, wie es soll oder will? Ärger liegt in der Luft, Frustration, Schuld? Ach was, Schwamm drüber, es menschelt halt, alles halb so wild, na kommt schon, Rücken gerade, Tränen trocknen, wir sehen uns am Whiteboard und dann geht’s weiter.—Halt Stopp, echt jetzt? Es menschelt, welch unnütze Ausrede! Sie negiert gerade das, was ein Team ausmacht.
Die Universalregel zur Lösung von Team-Konflikten: Erinnert euch daran, dass ihr Menschen seid. Legt die Emotionen auf den Tisch. Niemand muss aus Ärger, Überforderung, Angst oder Scham im Boden versinken. Denn Emotionen sind universell, und alle, wirklich alle im Team werden mitfühlen können, oder sie können lernen, mitzufühlen. Und wer das kann und das Menschliche als das Wichtigste im Team würdigt, kann verstehen und lösen.
2. Ich hab’ aber Re-heeecht!
Vielleicht kennt ihr aus Paarbeziehungen das Spielchen „Ich hab gesagt, du hast gesagt.“ Man streitet sich, wer was wann wieso zu wem und was damit wirklich, eigentlich gemeint war. Und holt mit jedem Satz Emotionen aus der Vergangenheit hoch, die nichts zur Lösung in der Gegenwart beitragen. Das ist eines der effektivsten Kommunikationsmuster, um Beziehungen langsam und sicher in den Zynismus zu treiben.
In Beziehungen wie in Teams ist zunächst egal, wer „recht“ hat und noch weniger, wer „schuld“ ist. Wischt euer innerliches Psycho-Whiteboard ab und beschäftigt euch damit, was jetzt in diesem Moment anliegt. Die Vergangenheit könnt ihr klären, sobald es in der Gegenwart wieder läuft. Und je gründlicher ihr die Gegenwart klärt, umso geringer wird die Bedeutung der Vergangenheit.
3. Verstehen und verstehen lassen
Viele Konflikte und Reibungen, die mir in der Arbeit begegnen, entstehen aus der Verwechslung von Fakten und Annahmen: Was meint jemand wirklich, und was vermute ich, was gemeint ist? Vermutungen sind mentale Abkürzungen. Physiologisch ist es sinnvoll, aus minimalen Informationen Bedeutungen zu lesen, denn das spart Zeit und Energie. Oft liegen wir damit richtig — wenn nicht, ist der Preis dafür umso höher.
Zu diesem Thema gibt es lange Workshops und dicke Bücher. Hier nur das Essentielle: Wenn sich Euer Gegenüber im Gespräch unerwartet ärgert oder eine andere starke Emotion zeigt, kann es daran liegen, dass es sich nicht verstanden fühlt. Was dann hilft? Fragen. „Entschuldige, habe ich dich richtig verstanden, dass du …?“ Wenn die eigene Annahme mit den Fakten (des Gegenübers) nicht übereinstimmt, bittet um eine Erklärung. Euer Ziel sollte sein, die anderen zu verstehen, und zwar so, wie sie es meinen; nicht, wie ihr es euch wünscht. Fragt dabei mit Interesse und Neugierde und Wohlwollen … und lasst Euch mit demselben Wohlwollen fragen.
4. Das Hirn ist eine Vorhersagemaschine …
… und super darin, Emotionen zu machen. Na klar machen wir sie uns selbst, wer auch sonst? Wir gleichen Erlebtes mit Erinnerungen ab und interpretieren das Gefühlte als Emotion. Sätze wie „der/die/das triggert mich total“ sind nicht hilfreich, denn der Trigger ist immer, immer, immer (danke an die Redaktion, dass die Wiederholung bleiben darf) nur und ausschließlich in uns, und nur wir selbst drücken ihn.
Hilfreich hingegen ist, die Verdrahtung unserer Knöpfe zu ändern. Das ist mitunter anstrengend und aufwendig. Doch es ist immer ehrlicher – und nachhaltiger – als eine Schuld in die anderen hinein zu halluzinieren, wenn wir uns infolge derer Aktionen unbehaglich fühlen. Emotionale Autonomie bedeutet, sich voll bewusst zu sein, dass die unsere eigenen Emotionen unsere eigenen sind. Also: Trigger erkennen, Stirnlampe aufsetzen und Kabelstränge verfolgen, neu verdrahten. Schrittweise könnt ihr so anderen neu und entspannter begegnen und Konflikte an der Wurzel lösen, bevor sie sprießen.
5. Nein, wir laufen jetzt nicht alle los!
Wenigstens nicht, bis alle wissen, wie sie sich die Schuhe binden. Wenn ein Team nicht „läuft,“ liegt es mitunter daran, dass nicht alle wirklich verstanden haben, worum es geht. Sinn bei der Arbeit ist ein wichtiger Motivator, und hochtrabende mission statements sind meist das am wenigsten geeignete Vehikel, um Sinn in einem Projekt zu transportieren.
Es geht effektiver: Zum Beispiel kann jedes einzelne Briefing neben den Pflichten und Lasten (hochmotivierende Wörter, nicht wahr?) auch einige Sätze zum Wieso, Weshalb, Warum enthalten. Wenn ihr Sinn und Verstehen schafft, ermächtigt ihr alle zum eigenständigen Denken. Das wiederum fördert Selbstorganisation und verringert Reibung.
Wie findet ihr heraus, ob etwas verstanden wurde? Siehe oben: Fragen. Und zuhören. Offen und ehrlich. Ja, das ist mitunter großer Extra-Aufwand, und ja, dieser Aufwand ist zu 100% Invest. Wer jeden Tag eine Stunde joggt, schafft sich 3 Stunden mehr konzentrierte Arbeitszeit. Wer den Sinn nach vorn stellt, schafft sich Deblockier-Arbeit vom Hals.
Und nu?
Schön und sehr gut, Mathias, und … ähm … womit sollen wir jetzt anfangen? Hier meine Standardantwort auf diese Standardfrage, ohne euch oder eure Situationen und Probleme zu kennen: Würfelt einen der obigen 5 Absätze aus und schickt ihn in euren Slack-Kanal oder E-Mail-Verteiler mit der Bitte an alle: „Schaut in den nächsten drei Wochen doch mal, ob euch eine Situation im Team begegnet, in der dies hier weiterhilft.”
Seid euch der Wirkung gewiss. Ich freue mich, eure Erfolgsgeschichten zu lesen – als Kommentar zu diesem Artikel oder per E-Mail. Viel Spaß beim Debuggen!