Strukturierter Unternehmensaufbau für frischgebackene Coaches: Positionierung, Marketing und Vertrieb
Erschienen in Professionell coachen – Das Methodenbuch.
Dies ist mein Beitrag zum Buch Professionell coachen, das 2016 im Beltz-Verlag erschien. Kaufen Sie es hier.
Inhalt
- Professionalisierung
- Positionierung
- Produkt
- Pricing
- Marketing und Vertrieb
- Die eigene Website
- Gründung
Prolog
Herr Maul, ich bin ein wenig verwirrt.
Oh? Ich dachte, Sie sind Coach. Coaches sind doch Meister der Ent-Wirrung.
Ja. Schon. Das dachte ich ja auch. Ich habe mein Zertifikat jetzt seit ein paar Wochen, aber irgendwie weiß nicht so recht, wo ich anfangen soll. Ich habe die Methoden gelernt und geübt, in der Ausbildung und der Peergroup. Aber jetzt will ich als Coach arbeiten. Und ich weiß nicht so recht, wie ich damit anfangen soll.
Willkommen im Sumpf! Sie sind in guter Gesellschaft. Sie kommen aus der Ausbildung. Und Sie können fast alles, richtig?
Ich habe viel gelernt, und ich weiß schon, dass ich Manager coachen will.
Das sagen sie alle.
Das ist ein wenig unfreundlich.
Das ist leider die Wahrheit. Aber es ist nichts ehrenrühriges dabei, wenn Sie der Masse folgen wollen. Manager aller Art sind ein beliebtes Marktsegment. Aber das ist schon der erste Fehler, über den viele stolpern: Sich im Zustand der Konfusion an einen vagen Markt anpassen.
Jetzt bin ich noch verwirrter.
Sehen Sie’s mal so: Sie haben viele abstrakte Prozesse und Formate gelernt, die Sie auf eine Unzahl von konkreten Problemen anwenden können. Genau das ist das Problem vieler Coaches. Sie können und wissen viel, aber weil Coaching so wunderbar flexibel ist, kommen nur vage Geschäftsideen heraus. „Ich unterstütze Führungskräfte, verdeckte Ressourcen zu nutzen, Blockaden zu lösen und Prozesse zu optimieren, dass … bla bla.“
Ja! (lacht) Stimmt. Das sagt alles oder nichts.
Genau. Damit können Sie niemand hinter dem Ofen hervorlocken. Lassen Sie zunächst herausfinden, was Ihre bestmögliche Positionierung ist. Dann definieren wir die bestmöglichen Beratungsprodukte für Ihre idealen Klienten.
Ideal?
Ja. Nur dann kann’s wirklich gut werden, und Sie kommen aus dem vagen Sumpf der immerzu blockadenlösenden und ressourcenweckenden Führungskräftecoaches heraus.
Na gut. Wie lange dauert das?
Etwa zwanzig Seiten. Los?
Los!
1. Professionalisierung
Also, von vorn: Wie kommen Sie darauf, dass Manager Sie brauchen könnten?
Jeder Manager kann von einem Coaching profitieren!
Ich habe nicht gefragt, wieso Manager Coaching brauchen könnten, sondern wieso sie Sie brauchen könnten. Was haben Sie zu bieten, das Ihr Coaching besonders macht?
Ich habe eine abgeschlossene Coaching-Ausbildung …
… wie jeder Coach …
… naja, fast. Es gibt doch viele, die sich Coach nennen und keine sind, oder?
Richtig. Aber das weiß der Kunde nicht, und es sollte ihn auch nicht interessieren. Dazu kommen wir später. Was haben Sie neben einer Coach-Ausbildung noch zu bieten?
Ich kenne das Geschäft. Ich war selbst lange im mittleren Management in der Industrie.
Genau wie Tausend Ihrer Mitbewerber. Bisher höre ich nichts besonderes. Ich möchte Sie zu Ihrer Postionierung begleiten. Die simpelste Formel, die ich kenne, lautet: Positionierung = Person + Produkt. Singular! Es geht um genau eine Positionierung für genau eine Person, mit vorerst genau einem Produkt.
Aber als Coach kann ich doch in allen möglichen Branchen arbeiten. Ich habe mindestens ein Dutzend Formate gelernt, und habe drei Zertifikate!
Das wird, leider, niemanden wirklich interessieren. Höchstens die Torhüter, aber die sind kaum wichtig.
Torhüter?
Ein Torhüter ist jemand, der zwischen Ihnen und dem Käufer steht. Ein HR-Assistent zum Beispiel interessiert sich für Zertifikate. Aber Ihr Käufer ist der, der ein Interesse an einer Lösung für sein Problem hat und Ihre Rechnung zahlen kann. Und dem sollte eine Sammlung von Zertifikaten reichlich egal sein. Er hat ein Problem …
… oder eine Herausforderung! …
… oder, von mir aus, auch eine Herausforderung. Nennen Sie’s lieber Problem, denn für den Klienten fühlt sich ein Problem meistens sehr, naja, problematisch an. Ohne wirklichen Problemdruck gibt es selten Motivation, einen Coach zu beauftragen, dafür sind Zeit und Geld zu knapp. Für dieses Problem also bieten Sie eine Lösung, die Ihr Kunde nirgendwo anders bekommt. Und wieso nicht?
Ich weiß nicht. Vielleicht, weil nur ich die passenden Methoden kann, um es zu lösen?
Fast. Die Lösung, die Sie bieten, kann Ihr Klient nirgendwo anders bekommen, weil Sie Sie sind! Als Coach arbeiten Sie immer von Mensch zu Mensch. Wenn Sie wirklich gut werden wollen, müssen Methode und Prozess in den Hintergrund rücken, und Sie müssen als Mensch sichtbar und greifbar werden. Deshalb die Gretchenfrage: Wer sind Sie eigentlich, und wieso wollen Sie Coach werden?
Ich war Produktmanager in einem Industrieunternehmen und wurde rausgemobbt.
Und dann wurden Sie Coach?
Nicht sofort. Kündigung, Gerichtsprozess, die volle Packung. Mir ging es richtig mies. Also nahm ich Kontakt zu meinem Coach auf, der mich schon im Job gecoacht hatte, und nach ein paar Sitzungen war ich wieder voll auf dem Damm. Das hat mich wirklich begeistert. Naja, dann kam eins zum anderen, ich machte eine Coaching-Ausbildung …
Aber wieso? Studieren Sie auch Medizin, wenn Sie sich beim Skifahren ein Bein brechen?
Weil ich es besser machen will! Ich will denen, die in einer ähnlichen Situation sind, helfen, nicht so abzustürzen. Und Coach werden ist leichter als Orthopäde. (lacht)
Aaaach so. Danke! Fast jeder meiner Mandanten hat eine sehr persönliche Motivation, aus der heraus er Coach wurde. Sind Sie denn „durch“ mit dem Thema, haben Sie’s gelöst? Sind Sie in Frieden mit Ihrer Vergangenheit?
Ja. Und wenn mich die Vergangenheit einholt, weiß ich, an wen ich mich wenden kann.
Prima. Dann haben wir einen Teil der Gleichung gelöst. Die eigene Geschichte liefert oft einen wichtigen Schlüssel für die Positionierung. Bei Ihnen ist’s die Vergangenheit als gemobbter Manager.
Aber das will ich nicht jedem auf die Nase binden!
Das müssen sie auch gar nicht. Aber Sie selbst sollten wissen, was Sie treibt oder trägt. Wenn Sie einen Klienten mit dem passenden Problem treffen, müssen Sie Empathie nicht spielen, sondern haben sofort einen ganz besonderen Zugang. Aber … Wieso, glauben Sie, können Sie den Job als Coach machen? Das ist nicht einfach, wissen Sie?
Ach, ich find’s gar nicht so schwierig. In der Ausbildung haben wir viele Übungen gemacht, und die haben immer gut geklappt.
Das sind Sandkastenspiele! Wenn Ihr Übungspartner die Übung kennt, und ein Trainer in der Nähe ist, klappt’s immer. Sie lernen ja auch nicht mit TV-Kochsendungen kochen und heuern dann als Chefkoch auf einem Kreuzfahrtschiff an. Auf hoher See sind Sie auf sich selbst gestellt.
Aber wie soll ich mit echten Klienten arbeiten, wenn ich noch keine Übung habe? Und wie soll ich den Ernstfall proben, wenn ich keine echten Klienten habe?
Dieses Problem ist normaler Teil der Professionalisierung, und der erste Schritt ist der kniffligste. Lassen Sie uns Ihr Produkt definieren, dann sehen wir weiter. Aber vorher: Wer ist denn Ihr Klient?
Wie gesagt, Manager in mittlerer Position. Mit den Geschäftsführern will ich noch nichts zu tun haben, und wenn ich ehrlich bin, kann ich mich an die Probleme der einfachen Angestellten nicht andocken.
OK, und wen von diesen Managern wollen Sie am liebsten coachen? Wie ist er oder sie? Im Coaching arbeiten zwei Menschen miteinander, oft sehr intim. Deshalb sollten Sie wissen, wie Ihr Idealklient menschlich beschaffen ist. Wie denkt, redet, argumentiert, bewegt er sich? Ist er eher schnell oder langsam? Bedacht oder impulsiv? Kurz gesagt: Wie muss der Klient sein, damit Sie ihn mögen?
Sollte man sich nicht danach richten, wonach der Markt verlangt?
Man man man. Wenn „man“ sich danach richtet, was „man“ braucht, wird „man“ ein Angebot entwickeln, das „man“ gut finden mag, aber das niemanden wirklich berühren wird. Fragen Sie sich, was für Sie wichtig ist. Was bringt es Ihnen, wenn Sie nach Wochen der Recherche herausfinden, dass aktuell Coaches in der Holzschraubenindustrie gefragt sind, Sie aber mit Ingenieuren nicht gut können?
Es wäre gutes Geld.
Sicher. Und das ist ja nicht schlimmes, ganz im Gegenteil. Als Coach haben Sie den riesigen Vorteil, sich in kürzester Zeit an neue Kontexte anzupassen. Und als Holzschraubenmanagercoach halten Sie sich vielleicht über Wasser, aber innerlich schwimmen Sie gegen Ihren eigenen Strom. Der Luxus, sich den bestmöglichen Klienten zusammenzuzimmern, ist kein Luxus. Es ist notwendig.
Holzschrauben finde ich nicht wirklich spannend.
Gehen Sie von den Menschen aus, mit denen Sie persönlich tagtäglich am allerliebsten arbeiten würden, und ignorieren Sie Marktanalysen.
Aber ohne Marktanalyse kein Marketing!
Oh, ein Belief. Denken Sie mal in dieser Richtung: Sie erschaffen sich Ihren Markt selbst, denn er besteht aus der Menge Ihrer Idealklienten. „Marketing“ bedeutet nicht, dass Sie es dem Markt recht machen müssen, sondern dass Sie Ihren Markt aktiv mitbestimmen. Kaum eine andere Branche bietet diese Möglichkeit.
Nun gut. Spontan würde ich sagen, ideal wäre … eine Frau, um die 40 Jahre alt. Eine schnelle Entscheiderin. Ihre Sprache ist eher langsam, gewählt. Wenn sie redet, merke ich, dass sich die Zahnrädchen im Kopf dreimal so schnell drehen wie es ihre Sprache vermuten lässt. Sie ist strukturiert und hat feste Arbeitsabläufe. Lächelt viel und gern, und das wird ihr manchmal zum Verhängnis.
Das klingt sehr gut. Nebenbei gefragt: Wie viele dieser Charakteristika stimmen auch für Sie?
Hm … einiges stimmt schon mit meinem Selbstbild überein. (grinst)
Oft sind die Wunschklienten meiner Mandanten ihnen selbst sehr ähnlich. Falls das so ist, ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein, denn Phänomene wie Übertragung und Gegenübertragung gibt es nicht nur in der Psychotherapie, sondern auch im Coaching …
… das ja oft hart an der Grenze zur Therapie abläuft.
Ja, richtig. Das besprechen wir gleich, wenn’s um Ihr Produkt geht.
Expertentipps
- Professionalisierung bedeutet für einen Coach vor allem, seine Persönlichkeit authentisch in den Beruf zu integrieren. Der erste Schritt sollte sein, sich über seine eigene Persönlichkeit und deren Rolle im geplanten Business klar zu werden.
- „Der Markt“ oder „die Zielgruppe“ sind viel zu weit gefasste und nicht nützliche Konzepte. Konzentrieren Sie sich auf maximal zwei Idealtypen und charakterisieren Sie diese so genau als möglich.
- Viele Coaches durchlaufen nach Abschluss ihrer ersten Ausbildung in etwa diese Phasen der Professionalisierung: Übermut („Ich kann fast alles!“), Konfusion nach den ersten echten Coachings („Ich kann eigentlich gar nichts“), erzwungene Disziplin („Ich muss mich jetzt auf ein Format konzentrieren!“), echte Disziplin („Ich wähle mir eine Kombination aus den Formaten, die mir liegen“), Einsicht, dass es eigentlich ganz einfach ist („Ich bin im Flow mit dem Klienten“) und danach die ständige Selbstoptimierung. Das ist normal und kein Grund zur Besorgnis.
2. Positionierung
Stellen Sie sich vor, diese Klientin kommt in Ihr Büro, oder Sie in ihres. Was tun Sie?
Na, was werde ich machen … ich coache sie.
Das sagen alle.
Ja, das sagen alle Coaches, aber ich bin doch Coach, oder? Also kann ich sie doch coachen.
Als ich meine erste Coachingpraxis eröffnete, hatte ich noch nicht viel Ahnung von dem ganzen Marketingkram. Ich kannte mich gut mit Websites aus, aber merkte schnell, dass das nicht genügt. Und wissen Sie wieso? Auf meiner Website stand ungefährt dies: Hallo, ich bin ein Coach, und ich habe dies und das gelernt, und habe diese und jene Zertifikate, und ich biete Coaching an, für diese und jene Probleme.
Aber das ist doch prima!
Das dachte ich mir damals auch. Die produzierte in einem halben Jahr exakt Null Anfragen. Erst als ich mich auf meine Idealkunden konzentrierte und den nur für sie schrieb, klingelte die Kasse. Sie haben schon eine erste Vorstellung von Ihrer Idealklientin. Was ist das Problem, das sie idealerweise haben sollte, damit Sie gern mit ihr arbeiten?
Ich würde sagen, sie Klientin fühlt sich nicht wohl in ihrem Job.
Das klingt nicht nach einem großen Problem. Würden Sie sich eine Riesenportion Pommes kaufen, wenn Sie nur ein bisschen Appetit haben?
Äh. Nein.
Wenn sich jemand nicht so recht wohl fühlt im Job, ist das Problem noch nicht dringend genug. Stellen Sie sich vor, Ihre Idealklientin sitzt an ihrem Arbeitsplatz und hat gerade dieses Gefühl. Sie fühlt sich nicht so recht wohl. Was müsste geschehen, dass Sie nach einem Coach sucht?
Es muss einen akuten Anlass geben. Irgendwas muss schiefgelaufen sein im Büro, dass Sie ihr Problem ganz deutlich spürt.
Genau. Und in diesem Moment kommt ein Impuls, der sie dazu veranlasst, einen Freund, Freundin oder Kollegen um Hilfe zu bitten, oder sogar um eine Empfehlung für einen Coach. Letzteres setzt jedoch voraus, dass sie überhaupt das Konzept des Gecoacht-Werdens kennt, und davon können Sie nicht ausgehen.
Meine Idealklientin kennt das Konzept.
Prima! Dann fügen Sie dies bitte zu Ihrer Beschreibung der Idealklientin hinzu: „Weiß, was Coaches sind und dass sie zu Lösungen beitragen können.“ Das ist nämlich alles andere als selbstverständlich. Viele würden nicht im entferntesten daran denken, sich einen Coach zu suchen. Bei persönlichen Problemen ist der Gang zum Coach meist die ultima ratio. Vorher geht’s zu Freunden, vielleicht zum Arzt, oder, traurig aber wahr, zum Weinhändler. Außer es geht um einen Personalverantwortlichen, der für seine Leute einen Coach sucht.
Aber dann wäre der eigentliche Klient doch immer noch der Coachee, und nicht der Personalverantwortliche, richtig?
Genau. Sie steigen mit den jeweiligen Mitarbeitern in die Bütt, müssten die Problem-Impulse beider aufgreifen. Sie könnten zum Beispiel ansprechen, welche Probleme der Personalverantwortliche hat, wenn seine Mitarbeiter nicht die Leistung bringen, die sie bringen sollen. Aber lassen Sie uns zunächst bei der Einzelklientin bleiben. Sie spürt ihr Problem gerade sehr deutlich, so deutlich, dass sie sich denkt: Jetzt muss etwas passieren!
„Jetzt geht’s nicht mehr, ich muss etwas verändern.“
Genau. Sie ist hungrig, und zwar so hungrig, dass Sie mit Ihrem Pommes-Stand am Straßenrand plötzlich interessant werden. Und wenn in genau diesem Moment Ihr Produkt und Ihre Persönlichkeit passen, ist der Vertrag so gut wie unterschrieben. Exakt auf diesen Moment sollte Ihre Positionierung abzielen.
Ich muss mit meiner Pommesbude zur richtigen Zeit am richtigen Ort stehen und die passende Gewürzmischung auf die Pommes streuen, die ihr schmeckt.
Genau. Eine ausgewogene Mischung aus Ihrer Person und Ihrem Produkt, angeboten in dem Moment, in dem der Hunger Ihrer Idealklientin am größten ist.
Wieso ausgewogen?
Manche Coaches zeigen sich zu sehr als Persönlichkeit, dann steht das Produkt im Hintergrund, oder sie stehen im Schatten des Produkts und sind nicht Mensch genug. Beide Extreme können funktionieren; aber für Einsteiger ist es sinnvoller, beide Seiten zu balancieren.
Expertentipps
- Die Positionierung ist eine Mischung aus der eigenen Persönlichkeit und dem Produkt. Viele Coaches wünschen sich einen Sinn-vollen Beruf. Finden Sie eine Positionierung, die zu Ihnen als Persönlichkeit passt, und passen sich mit Ihren Produkten nicht von vornherein an „den Markt“ an.
3. Produkt
Aber wie soll ich herausfinden, wann wer hungrig ist, und wie ich mich womit präsentiere? Da muss ich doch ausprobieren und warten und testen und so weiter. Wie soll ich denn diese ganze Planungszeit überbrücken?
Der Weg vom Coachingeinsteiger bis zum selbständigen Coaching-Experten ist exakt so lang, wie Sie ihn sich machen. Manche Coaches haben kurz nach Abschluss ihrer Ausbildung kaum freie Termine, andere klagen über Durststrecken.
Eine Kollegin hat während der Ausbildung wie wild genetzwerkt, aber hat erst nach einem halben Jahr ihren ersten Kunden gehabt. Und vorher Freunde, Verwandte und so weiter gecoacht.
Wissen Sie, was sie alles versucht hat?
Ich weiß es nicht genau, irgendwas mit Persönlichkeitsentwicklung, glaube ich. Wenn sie mit einem Thema nicht durchgekommen ist, hat sie sich ein anderes gesucht.
In die Falle tappen viele; bei den Produkten sind Neueinsteiger oft übermütig. Sie kommen aus den Ausbildungen und glauben, alles zu können: Von der Zielentwicklung bis zur Angstbehandlung …
… die ja gar kein Coaching ist …
… sondern Therapie, genau. Achten Sie bei der Formulierung Ihres Produkts ganz genau darauf, ob es noch Coaching oder schon Therapie ist. Alleine die Verwendung des Worts „Angst“ in Ihrem Produktportfolio kann schon problematisch sein.
Wieso das denn? Wenn meine Klientin Angst hat, ihren Job zu verlieren, dann kann ich’s doch auch schreiben, oder etwa nicht?
Jein. Der Gesamteindruck entscheidet. Wenn Sie den Eindruck erwecken, ohne Erlaubnis psychotherapeutisch zu arbeiten, können Sie Mitbewerbe zwingen, es sein zu lassen. Manchmal feuern auch Berufsverbände mit Massen-Abmahnungen. In Deutschland ist es noch ziemlich einfach, die Erlaubnis zur Ausübung der Psychotherapie zu erhalten, in anderen Ländern deutlich schwieriger.
Also schreibe ich statt Angst besser … Stress?
Auch bei diesem Wörtchen hat’s schon Probleme gegeben. Suchen Sie sich einen spezialisierten Anwalt, Ihre Texte zu prüfen.
Ich habe in meiner Ausbildung sogar gelernt, Phobien zu behandeln.
Das heißt lange nicht, dass Sie dies in freier Wildbahn auch dürfen. Konzentrieren Sie sich auf das, das Sie können und dürfen, so gewinnen Sie Zeit und Nerven. Die Akquise wird leichter, die Website ist schneller fertig, und wenn Sie sich vorstellen, müssen Sie nicht lange drumherum reden, sondern antworten in einem kurzen Satz.
Ist das der Elevator Pitch, von dem alle reden?
Naja, der Elevator Pitch ist eine simple Krücke, mit der Einsteiger üben können. Stellen Sie sich vor, Sie fahren im Aufzug vom 3. in den 8. Stock. Im 5. Stock steigt Ihr Idealklient ein und drückt auf die 6. Sie haben ein Stockwerk Zeit, um den Klienten zu angeln. Was sagen Sie?
Öhm …
(lacht) Ja, genau. Reine Übungssache. Denken Sie aber dran: Soweit ich weiß, hat niemals jemand ein Coaching während einer Aufzugsfahrt gekauft! Es geht darum, dass Sie sich mit wenigen Worten so interessant machen, dass Ihre Mitfahrerin so interessiert ist, dass sie ihr Stockwerk vergisst und mit ihnen in den 8. fährt. Dann haben Sie Zeit für ein Gespräch. Oder sie fragt mindestens nach Ihrer Visitenkarte.
Sie soll mich nach der Karte fragen?
Wenn Ihr Köder gut ist, beißt sie an. Denken Sie in Idealen, dann ist es einfacher, auf nicht-ideale Situationen zu generalisieren. Hier ist ein einfaches Muster zum Üben: „Wenn Sie (Problem), dann kann ich (Lösung).“
Wenn Sie sich nicht wohl im Job fühlen, kann ich Ihnen mit Coaching helfen, sich besser zu fühlen.
Gut, aber noch viel zu beliebig. Bei welchem exakten akuten Problem könnten Sie denn genau welchen Benefit bieten? Denken Sie zurück an die Situation, in der Ihre Idealklientin am Schreibtisch …
… sitzt und sich fragt: „Soll ich kündigen oder nicht?“ Das wäre akut. Und genau dann kann ich helfen. Ich sortiere mit ihr im Coaching, welche Möglichkeiten sie hat.
Prima! Dann haben wir den ersten Arbeitstitel für Ihr Produkt: Kündigungsentscheidungscoach. Spielen Sie die Aufzugs-Situation ein paarmal mental durch, und Sie werden Ihren Satz finden. Und dann drehen Sie ihn um und stellen den Nutzen ganz nach vorn. Wenn Sie grillen und den Nachbarn einladen wollen, fragen sie ihn auch nicht zuerst, ob er Hunger hat, sondern zeigen ihm das Steak über den Gartenzaun. Wenn er hungrig ist, wird er schon kommt kommen.
Und wenn ich diesen Satz habe, kann ich damit jeden ansprechen? Das kann so einfach doch nicht sein.
Der Elevator Pitch wird oft gehypt, ist aber nur eine Krücke zum Laufenlernen, die schnell fallen lassen sollten. Sobald Ihnen Ihr Unternehmen ans Herz gewachsen ist, brauchen Sie sie nicht mehr.
OK. Aber als Kündigungsentscheidungscoach kann ich doch keine Personaler ansprechen. Die haben doch Angst, dass ich ihre Angestellten wegcoache.
Stimmt. Wenn Sie Klienten außerhalb ihrer Unternehmen ansprechen, ist alles in Ordnung, aber wenn Sie Unternehmen ansprechen, können Sie qua Ausbildung mit den Chefs und deren Untergebenen arbeiten. Jeder hat seine eigene Agenda. Die Kunst ist es, beide Seiten so anzusprechen, dass Ihre Lösung für beide nützlich sein kann und für keinen bedrohlich wirkt. Und gleichzeitig bei der Positionierung zu bleiben.
Dann wird’s plötzlich wieder flexibler. Das gefällt mir.
Klar! Wenn Sie sich auf ein Thema oder ein Produkt einschießen, wird es immer vom Kontext beeinflusst, in dem Sie es anbieten. Wenn Sie Stress am Arbeitsplatz thematisieren, kann das Coaching des Arbeitgebers, der sich um seine Manager sorgt, völlig anders aussehen als das der verzweifelten Angestellten, von der Sie gesprochen haben.
Dann habe ich ja schon zwei Idealklienten.
Ja, und die sollen fürs erste genügen, sonst wird es schnell unübersichtlich. Der zweite Idealklient ist also …?
Der besorgte Arbeitgeber, der seine besten Leute nicht verlieren will. Mitte 50, in der Firma groß geworden. Mittelständler, vielleicht sogar im Familienunternehmen. Einer derjenigen, die sich um ihre Leute Gedanken machen, und es ernst meinen, wenn sie einen guten Morgen wünschen, oder einen schönen Feierabend.
Prima! Damit haben Sie die Menge der möglichen Klienten schon weiter eingegrenzt.
Ja, das ist deutlich besser als „Manager.“ (lacht) Und die kann ich jetzt alle coachen?
Sie selbst, oder Sie in einem Team, persönlich oder am Telefon, in Einzelstunden oder Paketen, als Shadow Coach, also einer, der den Klienten durch einen Arbeitstag begleitet, wie ein Schatten. Sie haben die freie Wahl.
Ich dachte an Pakete aus Einzelstunden. Vielleicht mit einer Zehnerkarte wie bei meinem Personal Trainer?
Woher wissen Sie, dass Ihre Idealklienten genau 10 Stunden brauchen werden, bis Sie am Ziel sind?
Das weiß ich nicht, aber kann ich dann nicht einfach 10 Stunden mit Rabatt als Paket verkaufen?
Oh, ich glaube, wir müssen das Thema genauer angehen. Lassen Sie uns mal über die Preisstruktur reden.
Expertentips
- Formulieren Sie Ihr Produkt so, dass es den Nutzen für Ihren Idealklienten betont. Greifen Sie in der Formulierung die Problemsituation des Klienten auf, formulieren dann den Benefit, und kommen erst dann auf Ihr Angebot zu sprechen.
- Beschränken Sie sich zu Beginn auf genau ein Produkt. Sobald Sie dieses Produkt gut verkaufen können und Gewinne erzielen, können Sie mit dem Gelernten Schritt für Schritt die nächsten Produkte gestalten.
4. Pricing
Also, die Zehnerkarte ist aus vielen Gründen eine nicht so ganz optimale Idee. Beim Personal Trainer passt das, denn Fitnesstraining ist nie zu Ende, und viel besser planbar. Muskeln verhalten sich halbwegs vorhersehbar, ein Coachingprozess aber ist chaotisch, ganz egal wie viel Struktur Sie hereinzubringen versuchen. Gerade dadurch bekommt ihr Job ja den Reiz. Aber das bringt mit sich, dass Sie kaum planen können. Natürlich könnten Sie ein Format entwickeln, dass ein Thema X in genau Y Sitzungen abhandelt, und wenn für Anfänger ist das auch in Ordnung. Wirklich interessant wird’s erst dann, wenn Sie freeform arbeiten und dem Prozess Raum geben.
Und dann ist eine Zehnerkarte nicht sinnvoll. Kapiert.
Ihre Leistungen können Sie nach Zeit berechnen und verdienen X Euro in Y Stunden, oder nach dem Wert, den Ihr Kunde durch Ihre Leistung erhält. Wenn sich beispielsweise ein Kunde vom Coaching verspricht, drei Führungskräfte im Unternehmen zu halten, ist es leicht, den Wert und darauf basierend Ihr Honorar zu errechnen. Aber machen Sie das erst dann, wenn Sie sich sicher genug in Ihrem Job fühlen. Bis dahin bleiben Sie bei Stundensätzen.
Und wie viel ist angemessen?
Was glauben Sie?
Das kommt doch auf den Kunden an! Ein Student zahlt doch nicht so viel wie ein Geschäftsführer.
Sie haben mich eben gefragt, wie viel angemessen ist, und nicht, wie viel „jemand“ zahlt. Das sind zwei Paar Schuhe. Ob Ihr Honorar angemessen ist, entscheiden Sie selbst. Wer das nicht zahlen will, kann nicht Ihr Idealklient sein.
Das klingt hart.
Ist es nicht. Das Hauptziel Ihres Geschäfts sollte sein, so Geld zu verdienen, dass Sie und Ihre Klienten sich wohl dabei fühlen. Wie mag Ihre Arbeit aussehen, wenn Sie jemandem 50% Rabatt geben, nur weil er sagt, er könne nicht mehr zahlen?
Ich würde nicht gut arbeiten. In der Zeit könnte ich ja das doppelte verdienen!
Und genau das würde auch Ihr Klient bemerken. Aus Sicht des Kunden ist Geld Priorität, keine Ressource. Wenn ein Jurastudent nach dem Coaching sein Examen im letzten Anlauf besteht, entspricht das einem Wert von vielen Hunderttausend Euro. Wenn er diesen Wert nicht sieht, dann wird er kein angemessenes Honorar zahlen …
… und auch nicht hochmotiviert sein …
… ganz genau. Denn die Höhe des Honorars hat immer einen Einfluss auf die Motivation beider: Ihrer und die des Coachees.
Und wie finde ich jetzt meinen Preis?
Denken Sie sich einen aus!
Wie, ausdenken? Irgendeinen?
Stellen Sie sich die Situation mit Ihren beiden Idealklienten vor. Überlegen Sie sich, welche Änderungen in deren Leben stattfinden, wenn das Coaching ideal abläuft. Was wird passieren? Wie wird sich die Situation zum Positiven wenden, welchen Wert werden sie erfahren? Und wenn Sie das haben, fragen Sie sich: Mit welchem Stunden- oder Tagessatz bin ich als Coach zufrieden, wenn ich weiß, dass ich das Potential habe, solch tolle Veränderungen zu bewirken?
Oh. Also, ich muss mal überlegen.
Tun Sie das, und wenn Sie einen Preis gefunden haben, bei dem Sie sich wohl fühlen, dann spielen Sie weiter Kopfkino und erhöhen ihn so lange, bis Ihr Bauch rumort und Sie Bedenken bekommen, ob „man so viel verlangen kann.“
Wieso das denn? Ich will doch keinen ausnehmen!
Natürlich nicht. Aber die meisten verkaufen sich weit, weit unter ihrem Wert. Die Preise, die Einsteiger finden, sind oft Wohlfühlpreise. Aber innerhalb der Komfortzone gibt’s kein Wachstum. Gehen Sie also ein Stück heraus und erhöhen Sie den Preis so lange, bis es ein bisschen zwickt. Es gibt Coaches, die berechnen nur €80 pro Stunde, andere werden bei €240 erst warm, und €400 oder deutlich mehr sind nicht selten. Wichtig ist, dass Sie Ihr Honorar vor sich selbst und Ihren Kunden und vertreten können, und dass es Sie bei den Preisverhandlungen immer ein kleines bisschen zwickt, damit Sie sich an Ihr Potential erinnern.
Gut, darüber denke ich nach und lasse es zwicken. Wie bringe ich mein Produkt jetzt unter die Leute?
Expertentipps
- Machen Sie Ihre Preisgestaltung nicht von der der Konkurrenz abhängig. Das ist nur dann sinnvoll, wenn Sie Produkte verkaufen, die vergleichbar sind (Tische, Brötchen, Ruderboote). Als Coach sind Sie unverwechselbar, weil Sie niemand kopieren kann.
- Wertbasierte Honorare sind für beide Seiten fairer als zeitbasierte, setzen jedoch ausführliche Vorgespräche und Analysen voraus. Direkt nach Gründung empfiehlt es sich, mit zeitbasierten Honoraren einzusteigen und erst später auf wertbasierte umzuschwenken.
5. Marketing und Vertrieb
Verkaufen? Na, wie wäre es damit: Sie finden mögliche Kunden fragen sie, ob sie ein Problem haben, das groß genug ist, damit Sie es lösen können.
Sie machen mir Spaß. Ich kann doch nicht beim Personalleiter anrufen und sagen, „Hallo guten Tag, ich bin Kündigungsentscheidungscoach.“
Stimmt. Wenn Sie damit anrufen, bekommen Sie entweder gar keine Antwort oder nur ein Tüüt Tüüt Tüüt, weil’s ein bisschen zu flott ist. So ein Personalleiter bekommt am Tag vielleicht zehn, zwanzig oder hundert solcher Anfragen. Die meisten werden von den Torhütern ausgefiltert. Aber lassen Sie uns zunächst über Marketing sprechen, bevor wir uns an den Vertrieb machen.
Wo ist denn der Unterschied?
Darüber streiten sich die Geister, aber ich gebe Ihnen eine handliche Definition: Marketing ist alles das, was nötig ist, damit Vertrieb funktionieren kann. Sie können kein Produkt verkaufen, das nicht positioniert ist, nicht nutzengerecht formuliert, und nicht auf einen Idealkunden zugeschnitten. Dann kann’s mit dem Verkaufen losgehen. Und dann rufen sie an.
Ich‽
Ja, Sie. Oder Sie beauftragen einen Vertriebler, für Sie anzurufen. Damit er das aber machen kann, müssen Sie Ihre Hausaufgaben aber gut gemacht haben. Dann können sie einen Profi-Vertriebler anheuern, der sich so lange vortastet, bis er für Sie einen Termin mit einem Käufer vereinbart hat.
Oder ich spreche mein eigenes Netzwerk auf Kunden an.
Achten Sie dabei darauf, dass Ihr Netzwerk gern Kunden empfiehlt. Innerhalb von Netzwerken, die fast nur aus Coaches bestehen, wandern Kunden selten hin und her. Zur Supervision und Erfahrungsaustausch ist es klasse, viele Kollegen zu kennen, aber wenn Sie neue Kunden wollen, sollte Ihr Netzwerk heterogen sein. Das ergibt sich bei der Gründung aber fast von selbst: Sie werden Kontakt haben mit Ihrem Versicherungsmakler, verschiedenen Anwälten, vielleicht einer Marketingagentur, einem Onliner, einem Fotografen, und so weiter, und jeder ist selbständig, sucht neue Kunden und hat sein eigenes Netzwerk.
Aber die kennen dann doch sicher schon einen ganzen Stall von Coaches?
Sicher. Aber wenn Ihre Positionierung einzigartig genug ist, sind Sie nicht einer von vielen. Verbreiten Sie Ihre Botschaft mit dem Nutzen und Idealkunden so exakt wie möglich, dann wissen die Leute in Ihrem Netzwerk auch genau, wonach Sie suchen. Und bitte verteilen Sie nicht blind Flyer! Sobald Sie anfangen, Flyer stapelweise auszulegen, sinkt ihr und damit Ihr Wert drastisch. Sie als Coach einzigartig und kein Pizzalieferant, der die Broschüren in Tausenderpaketen verschleudert.
Aber wie erfahren die Kunden dann von mir?
Indem Sie sie dort suchen, wo das Problem auftritt. Eine Broschüre können Sie per Post schicken, nachdem Sie mit einem Interessenten telefoniert haben, oder Ihre besten Kontakte mit einigen wenigen Visitenkarten ausstatten, die sie dann an ausgewählte Kontakte weitergeben können.
Ich habe auch mal gehört, dass man eine Werbung sieben Mal gesehen haben muss, bevor man sie wahrnimmt.
Naja, es gibt viele dieser Faustregeln, und die genaue Zahl ist sicher variabel. Aber denken Sie mal an sich selbst: Wann haben Sie zuletzt etwas teures gekauft, von dem Sie nur über einen Flyer oder eine Werbung gesehen haben?
Sogar beim Pizzadienst habe ich einen Kollegen gefragt, ob der gut ist …
… sehen Sie. In dieser Branche ist klassische Werbung oft sinnlos. Eine sehr gute Visitenkarte kann aber einen großen Effekt haben, wenn Sie sie richtig einsetzen.
Ich fühle mich ein bisschen unwohl mit dem Gedanken, den ersten Termin zu haben, ich habe doch noch keine echte Erfahrung.
Sobald die Stützräder abgeschraubt sind, sind Sie auf sich selbst gestellt. Das einzige, was wirklich hilft, ist loszulegen. Das klingt vielleicht nicht ermutigend, aber es gibt keinen anderen Weg. Vielleicht haben Sie schon Videos von Coaching-Interventionen gesehen?
Ja, die sind total beeindruckend. Wie Zauberei!
Denken Sie daran, dass lange nicht jede Interventionen perfekt läuft; auch dann nicht, wenn ein Top-Coach am Werk ist! Aber die Fehlschläge finden Sie natürlich auf keiner DVD. Kein Coach der Welt ist so perfekt, wie es bei einem Streifzug durch YouTube aussieht. Wenn Sie starten, können Sie sich an feste Formate und Konzepte halten: Time Line, Six-Step Reframe, Entstressungs-Protokolle, was auch immer Sie gelernt haben. Das ist völlig in Ordnung, solange Sie daran denken, sich mit der Zeit von gelernten Konzepten zu lösen.
Also brauche ich am Anfang gar kein eigenes Coaching-Konzept brauche?
Das Konzept sind Sie. Die Methoden sind der Rahmen, in dem Sie als Coach wachsen. Ihre Klienten interessieren sich nicht wirklich dafür, welche Methoden Sie benutzen und wie gut Sie sind oder wer sie sind. Ihre Klienten interessieren sich aber sehr dafür, wie gut es ihnen geht, wenn das Coaching abgeschlossen ist. Aus Marketing-Sicht sind die Coaching-Methoden oder Zertifikate nichts weiter als eine Brücke, die es Ihren potentiellen Klienten erleichtert, eine Beziehung zu Ihnen aufzubauen. Einige, die sich gut auskennen, denken dann vielleicht: „Aha, dieser Coach hat X gelernt, dann wird er vermutlich so und so arbeiten.“ Den meisten Klienten ist die Wahl der Methode aber ziemlich egal.
Egal? Wenn ich mich bei einem Unternehmen als Coach vorstelle, kann ich doch nicht einfach sagen, dass die Zertifikate egal sind?
Unterscheiden Sie zwischen denen, die Sie einkaufen und denen, mit denen Sie am Ende arbeiten. Wenn ein Personaler Ihre Leistungen für andere einkauft, können Ihre Zertifikate sogar zum Politikum werden! Dem eigentlichen Klienten geht es aber um Lösungen und nicht um Zertifikate. Aber decken Sie sich nicht mit möglichst vielen Zertifikaten ein, nur um allen möglichen Personalern zu gefallen. Sie wollen ja kein Wald-und-Wiesen-Coach werden, sondern Experte. Je mehr Experte Sie sind, umso leichter kommen Sie auch in Coaching-Pools.
Jetzt widersprechen Sie sich. Ein Coaching-Pool lebt von der Vielfalt.
Hineinzukommen ist das eine; wirklich in Projekten eingesetzt zu werden das andere. Wenn Sie mit zehn zertifizierten Qualifikationen in einem Pool vertreten sind, könnten Sie für alles mögliche eingesetzt werden, aber das verwässert Ihre Positionierung. Und es wird wohl immer Unternehmen oder Pools geben, die Sie nur dann annehmen, wenn Sie in Methode X zertifiziert oder in Verband Y sind. In erster Linie müssen Sie es sich selbst recht machen. Ihr Erfolg als Coach korreliert mit Ihrer Zufriedenheit mit sich selbst.
Und erst dann kann ich es dem Coachee recht machen? Das ist mir klar. Aber wie kann denn der Coachee beurteilen, ob ich die passenden Zertifikate für ihn habe?
Ein Zertifikat kann nie eine Aussage darüber treffen, ob Sie einem spezifischen Klienten in einem spezifischen Kontext zur gewünschten Lösung verhelfen können. Es trifft eine abstrakte Aussage über Fähigkeiten, die Sie erworben haben. Aber ob diese Fähigkeiten wirklich nützlich für den Coachee sind, kann er genauso wenig beurteilen wie Sie selbst. Der Prozess beginnt erst, wenn er beginnt.
Aber der Personaler?
Aus Sicht des Personalers kann ein Zertifikat ein Auswahlkriterium sein, weil es bedeutet, dass sich mindestens eine andere Person, zum Beispiel Ihr Ausbilder, bereits von einigen Ihrer Fähigkeiten überzeugt hat. Wie wichtig die Meinung dieses Trainers für den Personaler ist, hängt nur von ihm selbst ab und manchmal von unternehmensinternen Richtlinien. Der Wert eines Zertifikats ergibt sich im Kontext: Es ist genau so wertvoll, wie Sie und Ihr Gegenüber es machen. Ähnlich ist es bei Verbandsmitgliedschaften. Wie viel sie Ihnen nützen, und wie viel Sie dem Verband nützen, hängt vom Kontext ab.
Wem sagen Sie das. Ich habe schon während der Ausbildung drei Angebote von Verbänden bekommen, dass ich beitreten soll. Die sind nicht leicht zu durchschauen!
Wägen Sie den Nutzen ab, den Sie durch eine Mitgliedschaft bei einem Verband haben, mit dem Aufwand, der vielleicht auf Sie zukommt. Sprechen Sie mit Mitgliedern von Verbänden, die Sie interessieren und versuchen Sie herauszuhören, wie der Verband seine Interessen mit den Mitgliederinteressen in Einklang bringt. Mit der Zeit bekommen Sie ein Gefühl dafür, ob es einen Verband, gibt, der zu Ihnen passt.
Expertentipps
- Frisch ausgebildete Coaches können (logischerweise) ihre eigenen Fähigkeiten in realen Arbeits-Kontexten oft nur schwer einschätzen. Echte Erfahrungen sammeln Sie nur bei echten Aufträgen von echten Kunden. Also: Augen auf, und springen Sie ins kühle Wasser!
- Ein professioneller Vertriebler kann Ihnen viel Arbeit abnehmen und Sie unterstützen, schnell die ersten Kunden zu finden. Voraussetzung dafür ist, dass Sie zuvor Ihre Postion glasklar definiert haben.
- Zertifikate sind Marketingvehikel und per se nicht mehr wert, als das Papier, auf dem sie geschrieben sind. Erst durch den Kontext, in dem Sie ein Zertifikat einsetzen, verleihen Sie und Ihr Gegenüber ihm einen Wert.
6. Die eigene Website
Ich weiß jetzt Flyer und Visitenkarten einzuschätzen. Wie sieht’s denn mit einer Website aus? Ist die notwendig?
Naja, sowohl Visitenkarte als auch Website sind Ihre Stellvertreter, wenn Sie nicht persönlich anwesend sind.
Also schreibe ich auf der Website vor allem, wer ich bin?
Das wird, auch wenn’s weh tut, kaum einen interessieren.
Wie bitte?
Die Aufmerksamkeitsspanne des typischen Web-Nutzers ist nicht allzu groß. Wenn Ihre Idealklientin spätabends verzweifelt im Büro hockt, hat sie wohl kaum Geduld, sich Biografien durchzulesen, sondern sucht vor allem jemanden, …
… der eine Lösung bietet. Ja ja, ich hab’s kapiert.
OK. Jetzt fragen Sie sich mal: Was soll Ihre Website tun?
Sie soll mich verkaufen!
An wen?
An meine Idealklientin natürlich. Aber die muss sie zunächst finden. Ich dachte, ich schicke eine Rundmail an Freunde und Kollegen. Oder kaufe mir eine Liste mit E-Mail-Adressen von Personalleitern. Wenn ich zehntausend Mails verschickt habe, kommen doch bestimmt hundert Anfragen, oder?
Um Himmels willen! Zunächst sollte Ihnen das Feedback von Freunden oder Familie völlig egal sein. Das einzig sinnvolle Feedback ist das von Ihren Kunden. Ignorieren Sie den Rest mit einem freundlichen Lächeln. Denn jeder freut sich über eine Einladung, Feedback geben zu dürfen, aber wollen Sie Ihr Produkt an Ihre Freunde verkaufen?
Natürlich nicht!
Dann sollten Sie deren Feedback auch nicht berücksichtigen, und noch weniger danach fragen. Sie selbst müssen sich Ihrer Sache sicher sein, und danach Ihre Kunden. Deren Feedback ist wichtig. Denn am Ende stehen Sie mit dem Kunden in der Bütt, nicht mit dem Nachbarn oder der Tante. Und das mit der Adressliste ist rechtlich dunkelgrau. Und was glauben Sie, wie viele Mails ein hochgestellter Entscheider am Tag bekommt?
Hm. Fünfzig vielleicht?
Rechnen Sie mal grob mit zweihundert, Spam nicht mit eingerechnet. Manche bekommen sicher deutlich mehr, und hinzu kommen die Anrufe. Ein Personaler erzählte mir, dass er täglich Dutzende von Coaches hat abwiegeln lassen, nachdem die Presse mal wieder über Burnout berichtet hatte und sich viele Coaches spontan zum Burnout-Experten berufen fühlten.
Aber wie soll ich denn dann schnell Kunden finden?
Viele Leute glauben, dass „im Internet“ alles so superschnell geht. Eine Mail rauscht in einer Sekunde um die Erde, in einer Stunde findet man hundert neue Kontakte bei LinkedIn. Aber das Kerngeschäft ist nicht viel schneller als eh und je. Vertrauen muss wachsen, das geht nicht von jetzt auf gleich, weder offline noch online.
OK, also schreibe ich auf meine Website das, was ich meiner Idealklientin anbiete. Ist das alles?
Für den Anfang ist das perfekt! Wenn Sie es schaffen, sich einzuschränken und mit dem wichtigsten zu beginnen, nämlich dem echten Nutzen für Ihren Idealklienten, haben Sie vielen etwas voraus: Den Fokus. Danach können Sie Schritt für Schritt erweitern. Viele überschlagen sich und wollen sofort alles online bringen. Das wird natürlich nie fertig. Aber das wäre auch schade.
Schade?
Naja, wenn jemand sagt, seine Website sei fertig, ist das für mich eine schlechte Nachricht. Wissen Sie, wie man ein System nennt, das fertig ist, in dem es keine Bewegung mehr gibt?
Na …?
Tot.
Oh.
Es gibt tausende Websites, auf denen die letzten Neuigkeiten von 2006 sind? Man sieht sofort, dass die Website brach liegt, also muss auch der Betreiber stehengeblieben sein. Und das ist das letzte, das man sich von einem Coach wünschen würde. Jeder neue Beitrag auf der Website ist ein Stein in dem Hochhaus, das Sie bauen. Tag für Tag, Monat für Monat. Einen groben Bauplan sollten Sie haben, die einzelnen Ziegelreihen ergeben sich, während Sie mauern.
Und wie lege ich los? Computer anschalten, und …?
… schreiben! Sie wissen ja schon, was genau Sie wem genau bieten. Für den Anfang ist ein kurzer Textbeitrag pro Tag und ein langer pro Woche sehr gut. Schreiben Sie das, was Ihre Kunden interessiert oder interessieren könnte. Das wird sich, über kurz oder lang, herumsprechen, und man wird Ihnen zuhören. Dafür brauchen Sie Geduld und Disziplin.
Na prima … kann ich mir die eincoachen?
Klar, dafür haben Sie Ihre Supervisoren. Und halten Sie Abstand von Produkten, die superschnellen Erfolg im Internet versprechen! Hinter jedem, der wirklich „über Nacht“ erfolgreich geworden ist, steckt jahrelange Anstrengung und oft dutzende erfolglose Anläufe.
Oder unverschämtes Glück.
In Ausnahmefällen, ja. Wichtig ist, dass Sie nicht nachlassen. Wenn Sie nichts interessantes zu schreiben haben, schreiben Sie lieber nichts. Aber wenn Ihnen Ihr Job am Herzen liegt, oder Ihnen ans Herz wachsen soll, dann schreiben Sie drauflos. Eine Kundin von mir hat übrigens eine Zimmerpalme.
Ja, und?
Die steht auf ihrem Schreibtisch, neben dem Monitor. Und immer, wenn Sie schreibt, stellt sie sich vor, die Palme sei ihre Idealklientin. Und sie fragt sich, ob sie den Text wohl interessant fände.
Klingt ein bisschen seltsam.
Coaching an sich ist auch ein bisschen seltsam. Ist das ein Problem für Sie?
(lacht) Oh Nein!
Expertentipps
- Sobald Sie Ihr erstes Produkt definiert haben, gehen Sie damit online! Ein Account bei Tumblr (tumblr.com) genügt.
- Werden Sie zum freundlichen Experten: Geben Sie von ihrem Wissen und Erfahrung so viel wie möglich preis: offen und ehrlich. Für den Anfang können Sie mit bezahlten Anzeigen (z. B. Google AdWords) nachhelfen, Besucher auf Ihre Website zu lenken.
7. Gründung
Gut, ich bin bereit. Haben Sie noch einen Tip, wer mir einen Gründungskredit geben kann?
Kredit? Wofür brauchen Sie den?
Naja, alleine die Gründung der GmbH kostet mich …
GmbH?
Ich muss doch eine GmbH gründen. Dachte ich. Etwa nicht?
Wenn Sie das Kleingeld übrig haben, will ich Sie nicht davon abhalten. Aber wenn Sie von einem Kredit sprechen, klingt es nicht so, als hätten Sie genug Rücklagen, oder?
Die meisten in der Ausbildung haben die Coach-Ausbildung nebenbei gemacht. Ich dachte, ich baue nebenbei das Coaching-Geschäft auf und wenn es profitabel genug ist, rede ich mit meinem Chef …
… der Sie dann auch sofort nach der Kündigung als freiberuflichen Coach beschäftigt?
(lacht) Das wäre ideal!
Sehen Sie, wieder ein Idealkunde. Wenn Sie’s gut anstellen, kann das wirklich gut funktionieren. Bei der Unternehmensform wird Ihnen niemand sagen können, welche die „richtige“ ist. Wollen Sie alleine arbeiten, oder Angestellte beschäftigen, oder sich im Netzwerk gegenseitig Aufträge zuspielen?
Das weiß ich doch heute noch nicht!
Eben. Wenn Sie aus dem Stand heraus eine Bäckerei eröffnen wollten, bräuchten Sie Kapital für Maschinen, für Pacht, Lohnkosten und so weiter. Als Coach brauchen Sie nur sich selbst und etwas nettes zum Anziehen. Wenn Sie nur am Telefon arbeiten, nicht einmal das.
Aber ich kann doch nicht einfach so loslegen!
Na klar. Wofür glauben Sie dann einen Kredit zu brauchen? Für die Durststrecke, die ich Ihnen schon vorhin ausreden wollte?
(lacht) Ich hab schon Angst, dass das nicht klappen könnte. Vielleicht finde ich ja gar keine Klienten.
Angst haben, dass es nicht klappt, ist verständlich und maßvoll sinnvoll. Aber stellen Sie sich vor, Sie haben diese Angst und es klappt nicht und haben einen Kredit im Nacken. Ist das besser? Sich in Schulden zu begeben ist in dieser Branche so gut wie nie nötig, wenn Sie nicht vom Fleck weg ein riesiges Büro mieten und ausstatten wollen. Der Markt ist so enorm groß, dass ein guter Coach immer gute Klienten findet, um gut zu leben. Eine uralte Grundregel des Unternehmertums lautet: „Gib immer weniger aus, als Du einnimmst.“
Das ist aber sehr vereinfacht.
Ja, und es ist immer wahr, und gilt nicht nur für Geld, sondern auch für Zeit. Rechnen Sie sich aus, wie viel es kostet, wenn Sie Ihre Buchhaltung an einen Berater auslagern. Wenn der Nutzen die Kosten aufwiegt, lohnt es. Vielleicht.
Wieso nur vielleicht?
Weil Sie es erst im Nachhinein genau wissen. Aber das gehört zum Geschäft. Sie wissen auch erst im Nachhinein, ob ein Klient seine Rechnungen zahlt. Ein paar Risiken bleiben.
OK, wie kann ich denn die Risiken minimieren?
Es gibt viele Versicherungen, die sinnvoll sind, und noch mehr, die Sie sich schenken können. Suchen Sie sich einen Versicherungsmakler, dem Sie vertrauen, und besprechen Sie mit ihm alle möglichen und unmöglichen Fälle.
Wie unterscheide ich denn die sinnvollen von den nutzlosen?
Die Vertrags-Rechtschutzversicherung kann den Fall absichern, dass ein Kunde den Vertrag bricht. Aber wie häufig kommt es vor, dass ein Kunde eine Rechnung über 10.000 Euro nicht zahlt? In welchem Verhältnis stehen Nutzen und KOsten?
Wenn ein Kunde nicht zahlt, dann hetze ich doch nicht gleich den Anwalt auf ihn!
Ganz genau. Gerade bei Coaches ist die Kundenbeziehung sehr eng, und Ausfälle eher die Ausnahme. Aber eine Versicherung kann auch dann nützen, wenn Sie Sie nie in Anspruch nehmen müssen. Vielen fällt es leichter, hochdotierte Projekte anzustreben, wenn sie eine Versicherung im Rücken haben, oder eine Unternehmensform, die das Haftungsrisiko reduziert. Am Ende ist die Entscheidung für oder gegen eine Versicherung, wie auch die Rechtsform, eine zum Teil emotionale Angelegenheit.
Schon wieder die Emotionen.
Na klar. Eine Gründung ist viel mehr als ein Zahlenspiel, sie ist vor allem ein Spiel mit Gedanken und Gefühlen, und sie hört nie auf. Wenn Sie sich alle paar Jahre neu gründen, ist das schon fast zu selten. Fragen Sie sich einmal im Monat, ob Sie noch auf der für Sie richtigen Spur sind, und dann wird der Weg nach und nach unter Ihren Füßen entstehen.
Expertentipps
- Die Wahl der Rechtsform ist stark abhängig von Ihren genauen Plänen und der Jurisdiktion, in der Sie arbeiten werden. Pauschal lässt sich keine Empfehlung geben. Halten Sie es so einfach wie irgend möglich und überheben Sie sich nicht an Formalia, sondern fokussieren auf die Inhalte.
- In Deutschland sind die meisten Coaches Einzelunternehmer oder Freiberufler, auch wenn sie als „Netzwerk von Einzelkämpfern“ mit anderen Kollegen zusammenarbeiten. Die Gründung einer GmbH, UG oder Ltd. ist mit hohen Aufwänden verbunden und muss wohlüberlegt sein.
- Nicht jeder Konflikt lässt sich per Handschlag lösen. Eine gewerbliche Rechtsschutzversicherung ist sinnvoll, ebenso eine Betriebshaftpflichtversicherung. Sprechen Sie mit dem Versicherungsmakler Ihres Vertrauens, um die passende Kombination zu finden.
- Viele Länder, Bundesländer und Kommunen bieten Förderprogramme, die teils beachtliche Zuschüsse zahlen, wenn Sie ein schlüssiges Konzept vorlegen. Ihre Handelskammer oder der Autor dieses Beitrags helfen gern weiter.
Epilog
Dieser Dialog hat in dieser Form nie stattgefunden. Er steht stellvertretend für den Einstieg vieler Strategieberatungen und Coachings, die ich mit angehenden Coaches, Trainern und Beratern durchgeführt habe. Zwanzig Seiten eines nachgestellten Gesprächs können nur die Oberfläche des sehr komplexen Themas der Gründung ankratzen. Autor und Verlag freuen sich über Ihre Rückmeldungen und eigenen Erfahrungen!