MAULCO.
© Mathias Maul

Kurz und Herzhaft: Coaching und Therapie in Lichtgeschwindigkeit

Wie kurz geht Kurzzeitcoaching?

Erschienen in Kommunikation & Seminar 3/2009.

Gute Coaches und Therapeuten können vor allem eines: auf unvorhergesehene Fragen des Klienten geschickt antworten, oder wenigstens den Eindruck von Geschick vermitteln. Eine der wenigen vorhersehbaren Fragen jedoch bringt auch alte Hasen zuweilen in Verlegenheit: „Und wie lange dauert das Coaching? Ungefähr?“ Ja: Wie lange dauert’s? Wie schnell sollte, wie schnell kann ein Coaching oder eine therapeutische Behandlung sein?

In einigen Strömungen der Psychotherapie gelten Faustregeln wie etwa diese: Wenn es eine Phobie ist, geht’s schnell, eine Persönlichkeitsstörung dauert lange, und Borderline dauert ewig, wenn sie sich überhaupt behandeln lässt. Im Coaching, vor allem bei den systemischen Kollegen, gilt die Regel: Je komplexer das System, je mehr Beteiligte (und vor allem: je mehr verdeckte Beteiligte), umso länger dauert die Arbeit.

Gleichzeitig gibt es zuhauf Erfahrungen, nach denen auch „echte“ Borderline-Persönlichkeiten nach wenigen Sessions geheilt waren, andere Persönlichkeitsstörungen nach einigen Monaten verschwanden und die so „einfachen“ Phobien auch nach Jahren der Behandlung stabil blieben. Oder Geschichten von „Systemen“, die sich nach einer einzigen Session mit einem eigentlich nur am Rande beteiligten Protagonisten binnen weniger Tage komplett umsortierten.

Eine Kollegin verwendet gern den Ausdruck des „Gewahrwerdens“, des Findens und Fühlens der Lösung, einer Erleuchtung ähnlich, die meist überraschend kommt. Das Gewahrwerden kann nach einem Monat, einer Woche, nach zehn Minuten oder nach fünf Jahren eintreten, und alle bisherigen Versuche, die Dauer einer Behandlung oder Beratung von der Natur des Klienten oder seines Anliegens abhängig zu machen, schlugen fehl. Die Dauer eines Coachings oder einer Therapie ist keine Funktion des Anliegens, des Kontextes, der Persönlichkeit von Klient oder Coach oder ähnlicher Variablen.

Wenn die tatsächliche Dauer also nicht vorhergesagt werden kann, was liegt näher, als alles daran zu setzen, Coachings und Therapien so kurz wie nur möglich zu gestalten? Was könnte schöner sein, als ein Klient, der schon nach einer Woche die Praxis glücklich verlassen kann oder sogar nach einer Stunde, statt monate- oder wochenlang auf seiner seelischenBaustelle „arbeiten“ zu müssen? Die Vorteile eines schnellen Veränderungsprozesses für den Klienten liegen auf der Hand, und auch für den Behandler birgt schnelles Arbeiten mindestens drei große Vorteile.

Erstens: Höhere Zufriedenheit des Kunden steigert automatisch (und schnell!) das Empfehlungspotenzial. Stellen Sie sich vor, einer Ihrer Coachees berichtet seinem besten Freund: „Ja, das Coaching war okay, und nach fünf Wochen harter Arbeit fühle ich mich wirklich schon ein kleines bisschen besser.“ Vergleichen Sie diesen Satz mit dem Empfehlungspotenzial folgender Aussage: „Schon nach der ersten halben Stunde hatten wir den ersten Knoten gelöst, an dem ich seit zwei Jahren geschuftet hatte!“

Zweitens: Schnellere Veränderungsprozesse schaffen eine breite Basis. Je schneller die Behandlung eines Coachees oder Therapieklienten abgeschlossen ist, umso mehr Zeit haben Sie, mit weiteren Klienten zu arbeiten. Je mehr Klienten Sie in Ihrer Praxis haben und je kürzer die Wartezeiten für neue Klienten sind, umso schneller wächst die Basis für eine durchgreifende und automatische Empfehlungsmaschinerie.

Und weil auch das natürlich ein Thema für Therapeuten und Coaches ist, gilt drittens: Je schneller Ihre Arbeit ist und je sicherer Sie darin werden, Ihre Klienten schnell ans Ziel zu begleiten, umso mutiger können Sie Ihre Honorare gestalten. Das Verkaufsargument ist in sich schlüssig: Wieso soll ein Klient zwölf Termine zu je einer Stunde freischaufeln, wenn es (zum gleichen Preis) in zwei Terminen zu zwei Stunden genauso gut – wenn nicht noch besser – geht?

Die vermeintliche, wenngleich von Kritikern der Kurzzeitinterventionen oft angeführte Gefahr, dass bei schneller Arbeit wichtige Themen übersehen werden, kann ich nach all den Jahren nicht bestätigen: Schnell heißt nicht schlampig. Die Gefahren von Coachings, die länger dauern als nötig, liegen hingegen auf der Hand: Langeweile, Langeweile, Langeweile.

Hier ein paar Strategien und Handreichungen, mit denen sich unabhängig von den Coaching-Methoden die Geschwindigkeit und Wirkung Ihrer Arbeit deutlich erhöhen lassen:

Mit Ignoranz glänzen

Wenn Ihnen vor der ersten Session die berühmte Frage nach der Dauer entgegen weht und Sie zu schätzen versuchen, wie lange die Behandlung dauern wird, seien Sie sich bewusst: Sie lügen. Weder Sie noch Ihr Klient können voraussehen, wie lange es wirklich dauern wird, bis die Ziellinie erreicht ist. Selbst wenn Sie 1000 Klienten mit isolierten Kleintierphobien erfolgreich in je genau zwei Sessions behandelt haben, kann der 1001. Klient derjenige sein, der drei Behandlungen braucht. Oder zehn. Beantworten Sie die Frage nach der Dauer wahrheitsgemäß mit „Ich weiß es nicht.“ Und erklären Sie, wie unbedeutend diese Abschätzung ist, wenn Ihr Gesprächspartner eben die Ausnahme von der Regel ist.

Sobald er es wirklich verstanden hat, ergänzen Sie Ihre Antwort: „Wie gesagt: Ich weiß es nicht. Nur Sie können darüber entscheiden. Wenn alles passt, können wir schon nach der ersten Session fertig sein.“ Damit setzen Sie, wenn eine Schätzung schon unmöglich ist, zumindest einen nützlichen Rahmen für die folgende Arbeit.

Brechen Sie schnell das Eis

Die wohl wichtigste Regel beim Rapportaufbau wird oft übersehen: Je schneller Sie es schaffen, Rapport aufzubauen, umso tiefer und nachhaltiger wird er bleiben, auch ohne weiteres aktives Zutun von Ihrer Seite. Nutzen Sie die ersten 20 Sekunden des Erstgesprächs, um dem Klienten – verbal – nahe zu kommen und das Eis gegebenenfalls auch mit einem geschickt platzierten Vorschlaghammerschlag zu brechen. Dann ist Ihnen das Vertrauen Ihres Gegenübers fast sicher, und Sie können sofort mit der Arbeit beginnen.

Spiegeln Sie die Schatten

Ein einfacher, wenn auch drastischer Weg, das Eis schnell zu brechen: Lassen Sie sich auf die Wortwahl ihres Klienten ein und antizipieren Sie vor allem die Wörter, die er sich (noch) nicht zu sagen traut. Wenn Ihr Klient beispielsweise berichtet, dass er, von seiner Familie verlassen, von seinem Chef gekündigt, aus der Wohnung vertrieben, seines Geldes beraubt, nun „ein wenig ratlos sei und professioneller Unterstützung bedarf, um sein Leben zu optimieren“, so ist es sicher nicht weit hergeholt zu vermuten, dass er eigentlich denkt, dass er „bis über den Scheitel in der Kacke sitzt“ und den ganzen Tag „nur noch kotzen“ will. Wenn Sie die Feinfühligkeit entwickeln, Wörter herauszuhören, die der Klient aus Scham vermeidet, und den Mumm haben, sie mit Inbrunst auszusprechen, dann erreichen Sie mit einer einzigen Bemerkung 99 von 100 Rapportpunkten. Dies hat beileibe nichts mit Provokation zu tun: Auch Schatten lassen sich spiegeln.

Riskieren Sie Spontaneität

Dies ist der wohl wichtigste Leitsatz für schnelles und nachhaltiges Coaching. Reagieren Sie so spontan wie möglich auf äußerungen Ihres Klienten – und riskieren Sie dabei, dass Sie „falsch“ liegen könnten! Wenn Ihnen ein relevanter Gedanke kommt, scheuen Sie sich nicht, die Ausführungen des Klienten zu unterbrechen oder ihm – vorausgesetzt, der Rapport stimmt – ins Wort zu fallen. Sollte sich Ihr spontaner Gedanke als unpassend erweisen, dann schaffen Sie ihm mit Hilfe von Reframing einen solchen Rahmen, dass er dennoch in den Kontext passt.

Kein Smalltalk

Verschwenden Sie keine einzige Sekunde einer Session mit Smalltalk. Sollte das Gespräch dennoch in die Irrelevanz abgleiten, dann deuten Sie es sofort um (Reframing), um es in produktive Bahnen zurückzulenken. Damit erzeugen Sie bei Ihrem Klienten den berechtigten Eindruck, dass die gesamte Session für sein Anliegen relevant ist, und ihm erscheint die „gefühlte Zeit“ zur Lösung kürzer.

Verwandeln Sie Steilvorlagen in Torschüsse

Vor einigen Jahren kam eine Klientin in meine Praxis und sagte sofort nach dem Ablegen ihres Mantels sinngemäß: „Herr Maul, ich habe Problem X. Ich habe viel über die Methoden gelesen, mit denen Sie arbeiten, ich habe viel von Ihnen gehört, ich glaube, Sie können das richtig gut, und ich vertraue Ihnen.“ Im Fußball nennt man dies wohl eine Steilvorlage. Bekommt ein Stürmer eine Steilvorlage auf den Fuß, wird er sicher nicht lange darüber nachdenken, ob und wann der Ball im Tor landet, er wird vielmehr alles unternehmen, um sie umzusetzen: So schnell wie möglich. Meine Klientin präsentierte das Vertrauen auf dem Silbertablett und sagte danach sogar, mit welcher Methode – hier war es Hypnose – sie arbeiten wollte. Demnach brauchte ich nur zu sagen: „Oh, das freut mich! Und das Beste ist: Sie sind schon in Hypnose! Also schließen Sie die Augen, dann können Sie Ihr Problem noch schneller lösen.“ Und nach weniger als 45 Minuten Arbeit war ihr Anliegen nachhaltig gelöst.

Andere Steilvorlagen könnten sein: Der Klient, der in bester „Columbo“-Manier beim Verlassen des Raums das eigentliche Thema erwähnt, oder Klienten, die Ihnen lange erklären, mit welchen Methoden sie auf gar keinen Fall arbeiten wollen und Ihnen somit die für Veränderung wirklich zugängliche Stelle zeigen.

Verwenden Sie wenige Methoden

Viele Coaches und Therapeuten durchlaufen in ihrer Karriere ein Stadium, in dem sie Ausbildungen anhäufen wie ein Eichhörnchen Haselnüsse. Sowohl Anfänger als auch langjährig erfahrene Coaches berichten mir in der Supervision, dass sie während einer Sitzung „Aussetzer“ haben, weil sie nicht wissen, welche der vielen Methoden oder Formate sie anwenden sollen. Dies zieht Behandlungsabläufe unnötig in die Länge. Wenn Sie ein Opfer dieser Poly-Methoderitis sind, wirkt ein einfaches Experiment Wunder: Schreiben Sie eine nummerierte Liste mit jenen drei Methoden oder Formaten, die Sie am liebsten anwenden. Nummerieren Sie die kommenden zwölf geplanten Sessions in Ihrem Terminkalender wie beim Abzählen im Sportunterricht: 1, 2, 3 … bis bei jeder Session eine 1, 2 oder 3 steht. Wenden Sie dann – unabhängig von Klient oder Anliegen – bei der Session genau das Format an, das Sie im Terminkalender notiert haben und Sie werden sehen, wie viel Sie mit einem eingeschränkten Repertoire erreichen können. Und Sie lernen zudem, sich auf das Nötige zu beschränken und Ballast über Bord zu werfen. Alternativmethode für Mutige: Würfeln Sie vor jeder Session, welche Methode Sie anwenden werden! Und wenn Sie ganz mutig sind, tun Sie es im Beisein des Klienten. Und staunen Sie über die Wirkung.

Lichten Sie den Theaternebel

Vielen Klienten fällt es schwer zu verstehen, dass auch tiefgreifende Veränderungen tatsächlich rasend schnell geschehen können. Diesen Klienten hilft oft die Verwendung von „Theaternebel“ – Methoden also, die eine prozesshafte und tiefgründige Arbeit andeuten, deren Hauptwirkung jedoch im Placebo besteht. Wenn Sie Theaternebel einsetzen, dann erklären Sie dem Klienten die eigentliche (verdeckte) Wirkung Ihrer Methode sofort, nachdem die Veränderung stattgefunden hat. Damit erreichen Sie zwei Dinge: Zum einen versteht der Klient schnell, dass nicht die Methode, sondern er selbst alleine für seine Veränderung verantwortlich war. Gleichzeitig steigt sein Vertrauen Ihnen gegenüber, weil Sie als Behandler Ihre Methoden offen legen.

Wenn der Klient bremst, treten Sie aufs Gas

Sowohl von Klienten als auch von Kollegen höre ich oft Sätze wie „das muss ich erstmal sacken lassen“ oder gelehrter: „Die Veränderung muss sich langsam in meine Persönlichkeit integrieren.“ Beachten Sie dabei eines: Oft nehmen Klienten stillschweigend an, dass eine Veränderung, vor allem wenn sie bedeutend ist, eine gewisse Zeit zur Integration benötigt. In den meisten Fällen ist diese Annahme schlichtweg hinderlich, also explorieren Sie sofort nach dieser äußerung die Hintergründe derselben, und in den meisten Fällen werden Sie auf logische Knoten stoßen, die, sobald sie gelöst sind, plötzlich schnelle Veränderungen zulassen.

Nach einem Veränderungsschritt: Seien Sie überrascht!

Wenn Ihr Klient einen wichtigen Veränderungsschritt getan hat, und wenn er es in außerordentlich kurzer Zeit geschafft hat, dann drücken Sie Ihr Erstaunen über die Geschwindigkeit aus. Ein ehrlicher Kommentar wie etwa „Dass es schnell gehen kann, wusste ich ja, aber so schnell? Respekt! Wie haben Sie das geschafft?“ wirkt Wunder für die weitere Arbeit. übrigens brauchen Sie keine Bedenken zu haben: Wenn es wirklich schnell geht, dann wird Ihr Erstaunen echt sein. Noch heute – nach unzähligen erfolgreichen Coachings – bin ich jedes Mal tatsächlich überrascht, wenn mir ein Klient mitteilt, dass er „durch“ ist. Und ich freue mich, ihn schneller entlassen zu können, als wir beide es jemals hätten vermuten können.

Kein Klient hat es mir bisher übel genommen, dass ich mich schnell überflüssig machte. Machen Sie’s kurz. :)