MAULCO.

Verrückter als der Klient

Erschienen in Kommunikation & Seminar 1/2013.

NLP und Persönlichkeit: Richard Bandler zeigt uns beides in London. Die alte Garde ist noch nicht abgemeldet. Alles beim Alten?

And then, you see, you just fucking change that freakin’ memory, and it’s fucking gone!

Der alte Meister steht auf der Bühne, zieht über das Establishment her und flucht. Alles beim Alten. So könnte man dieses Wochenende in London im Oktober zusammenfassen. Oder so: Der Altmeister steht auf der Bühne, ergriffen von seinem Lebenswerk, in dem er ein ganz neues Establishment erschaffen hat, und sprüht vor Jugendlichkeit. Alles beim Alten.

Den gut 600 Zuschauern macht er es einfach, sich schnell zu entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Es gibt kein Nein, es gibt nur das Ja. Ja, ich will in Trance sein; ja, ich will diese Emotion verändern; ja, ich will nicht Nein sagen. Bandler ist pure Polarisation; Paul McKenna, der immerhin die Hälfte des Seminars übernimmt, steht in seinem Schatten wie ein Conférencier.

Polarisation und Reduktion: Kein Drumherumreden, kein Wühlen in Problemen. Veränderungsökologie? Nicht erwähnenswert; wieso auch? „Your unconscious isn’t fucking stupid!“, das Unbewusste wird’s schon richten. Es gibt nur das Positive, und alles was stört, ist Vergangenheit oder noch nicht gelebte und damit – NOW! – jederzeit änderbare Zukunft.

Polarisieren ist Teil von Bandlers Erfolgsrezept, und noch heute hat er dieselbe Verve wie vor vierzig Jahren. Beim Zuschauen fühle ich mich erinnert an Aaron Beck, der gegen das Establishment der Psychoanalyse anstürmte, oder Martin Seligman, der den Behaviorismus in Grund und Boden forschte.

Just think what you’re gonna do with all that fucking free time you’ve got when you stop worrying about that freakin’ problem that’s already gone now. 4000 hours a year less of worry! Think about it, you could … masturbate! 4000 hours a year!

Diese Vergangenheit freilich ist vorbei, Bandlers altbekannte Geschichten bleiben. Andy mit den Sandwichbabys, der Versicherungsvertreter mit dem Teufelshologramm, Jesus mit dem Holzkreuz. Bandler, der Geschichtenerzähler, steht auf der Bühne, gezeichnet vom Schlaganfall, der Diabetes und einem über Jahrzehnte – man könnte glauben: Jahrhunderte – gewachsenen Sturkopf, der bei aller Rigidität eine Empathie ausstrahlt, die fast nicht von dieser Welt ist. Er ist gleichsam empathisch wie emphatisch, und wir lernen: „Fuck“ ist ein vielseitiges Wort.

Auf der Bühne bietet sich das übliche Demo-Programm: Phobien, Unfalltraumata, Schüchternheit und Redeangst, schwuppdiwupp ist alles weggecoacht. Vordergründig genügen Bandler dafür Submodalitäten und Anker. Alles ist ganz einfach und damit eine willkommene Heilsbotschaft für die überausgebildeten Seminarhopper: Mach’s mir nach und du hast Erfolg.

Hintergründig, eigentlich, wirken sicher der Bühnenkontext – mit 600 Zuschauern klappt jede Intervention – und Bandlers einnehmende Persönlichkeit: Sei verrückter als dein Klient und die Arbeit ist erfolgreich! Das NLP, das Bandler präsentiert, kann nur im Zusammenspiel mit einer sehr speziellen Persönlichkeit funktionieren, einer Persönlichkeit, die er per definitionem voll verkörpert.

Und mindestens hierfür hat es sich gelohnt, ihn live zu erleben. Um Bandlers NLP anzuwenden, um es zu leben, muss man ein wenig sein wie er.

Kürzlich fragte mich ein Kollege: Was gibt es denn heutzutage Wegweisendes zum Thema NLP zu sagen? Ist die „alte Garde“ schon abgemeldet? Ich glaube, die Zukunft gehört denen, die die ursprüngliche Einfachheit von NLP zu schätzen und zu nutzen wissen, und auch jenen, die sich trauen, ihre Persönlichkeit voll zur Geltung zu bringen … und mindestens ein bisschen verrückter zu sein als ihre Klienten.